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Die Professur für Schulpädagogik mit den Schwerpunkten Erziehung und Bildung lädt herzlich zur Tagung der Professionsforschung und Lehrer:innenbildung an die Universität Trier ein.
Ist erziehungswissenschaftliche Forschung überhaupt ohne Normativität denkbar? Beinhaltet die Verwendung von Begriffen wie „Bildung“ oder „Kompetenzen“, „Profession“ oder „Guter Unterricht“ nicht zwangsläufig normative Wertmaßstäbe und ist Erziehung nicht selbst zwangsläufig mit sozio-kulturellen Werten verbunden? Kann Forschung ohne normative Setzung überhaupt Professionswissen erzeugen oder praxisrelevant sein? Dieser Workshop widmet sich diesen grundlegenden Fragen in einer systematischen Diskussion. Ein reflektierter Umgang mit Normativität bildet die Grundvoraussetzung dafür, angemessene Forschungsfragen zu entwickeln und robuste Forschungsdesigns zu gestalten. Der Workshop richtet sich insbesondere an Forscherinnen und Forscher in der Planungs- und Erhebungsphase sowie an diejenigen, die derzeit qualitative Daten interpretieren.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden in die Grundproblematik der Differenzierung zwischen deskriptiven und präskriptiven Aussagensystemen eingeführt. Dabei werden die Argumentationslinien des als "Positivismusstreit" bekannten Diskurses zwischen dem Kritischen Rationalismus und der Kritischen Theorie vorgestellt und deren Konsequenzen für die qualitative und quantitative Unterrichtsforschung untersucht. Abschließend wird gemeinsam an konkreten Beispielen der Professionsforschung über normative und deskriptive Interpretationen diskutiert. Nach Abschluss des Workshops sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Lage, die epistemische Relevanz von Normativität systematisch zu reflektieren und diese Erkenntnisse in ihre eigenen Forschungsarbeiten zu integrieren.
Mit dem Tagungsthema "das Personal der Lehrer:innenbildung" werden wir als Lehrende und unsere Lehrpraxis in Lehramtsstudiengängen selbst zum Gegenstand der Forschung. Das damit einhergehende Erkenntnis- und Reflexionspotenzial werden wir dadurch aufnehmen, indem wir über (unsere eigene) Lehrpraxis hinsichtlich typischer normativer Spannungen und Anerkennungsdynamiken ins Gespräch kommen. Dafür werde ich zunächst anhand vorliegender erziehungswissenschaftlicher Studien zur Interaktion in der universitären Lehre im Lehramt skizzieren, welche typischen Praktiken, welche Anerkennungsdynamiken und welche normativen Bezugshorizonte sich ausmachen lassen (vgl. u.a. Balzer & Bellmann 2023; Leonhard & Leonhard 2023; Wenzl et al. 2023). Durch die gemeinsame Interpretationsarbeit an einer kurzen Szene aus einem Seminar zu Grundbegriffen der Erziehungswissenschaft werden wir insbesondere die Spannung zwischen der Orientierung an der Norm der Diskursivität auf der einen und der Norm der Eindeutigkeit und Abprüfbarkeit von Wissen auf der anderen Seite thematisieren. Diese Arbeit am konkreten Fall soll einen Diskurs darüber eröffnen, wie uns diese (und andere) Spannungen in unserer Lehrpraxis begegnen, welche Umgangsweisen wir damit finden und welche Normen von Universität und guter Lehre diesen Umgangsweisen eingeschrieben sind – und normativ gewendet, inwieweit wir die erarbeiteten Spannungen vielleicht auch anders adressieren sollten.
Zusammengefasst sollen folgende Fragen verhandelt und diskutiert werden:
Welche Anerkennungsdynamiken lassen sich in erziehungswissenschaftlichen Seminaren (oder auch Vorlesungen) ausmachen?
Welche (konfligierenden) normativen Horizonte werden thematisch?
Welche Umgangsweisen lassen sich in empirischen Studien und in unserer eigenen Praxis finden?
Was sind leitende Normen von Universität und universitärer Lehre? In welchem Verhältnis stehen diese zu typischen Umgangsweisen mit normativen Spannungen?
Gerne kann eigenes Datenmaterial (Interaktionsdaten aus der universitären Lehre, Interviews mit Lehrenden etc.) in den Workshop eingebracht werden.
Literatur:
Balzer, Nicole; Bellmann, Johannes (2023): Die didaktische Fabrikation von Wissenschaft. Zur Untersuchung wissenschaftstheoretischer Implikationen der Praxis erziehungswissenschaftlicher Lehrveranstaltungen. In: Gabi Reinmann und Rüdiger Rhein (Hg.): Wissenschaftsdidaktik III. Perspektiven. Bielefeld: transcript, S. 53–78.
Leonhard, Melanie; Leonhard, Tobias (2023): Ungenügend. Zur Relationalität und Relativität von Wissen und Können im Studium zum Lehrberuf. SEMINAR, 29(3), 135-149.
Wenzl, Thomas; König, Hannes; Kollmer, Imke (2023): Wissen ohne Geltung oder: Das Seminar als Ort des kritiklosen Diskurses. In: Zeitschrift für Pädagogik 69 (5), S. 584–598.
Ab 16:00 Uhr ist "Aonwaggeln" (langsam Ankommen) angesagt, um beim Wiedersehen und Neukennenlernen der Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer schon einmal "aanen zu biejeln" (etwas trinken) und miteinander zu "schwaduddeln" (plaudern). Dazu werden Kaltgetränke angeboten.
Dauer ca. 90 min., vor Ort zu zahlender Beitrag pro Person: EUR 6,-
Treffpunkt wird noch bekannt gegeben.
Essen und Getränke nicht inkludiert, nur Reservierung
Treffpunkt wird noch bekannt gegeben
Grußworte des Vizepräsidenten der Universität Trier, Prof. Dr. Matthias Busch, des geschäftsführenden Leiters des Zentrums für Lehrerbildung der Universität Trier, Prof. Dr. Leonhard Frerick, des Dekans des Fachbereichs I, Prof. Dr. Benedikt Strobel, und des Vorstands der DGfE-Kommission "Lehrer:innenbildung und Professionsforschung", Prof. Dr. Anna Moldenhauer (Universität Bremen) und Prof. Dr. Fabian Dietrich (Universität Bayreuth)
An der deutschen Universität gilt seit nunmehr 200 Jahren das Primat der Forschung, dessen wechselnde Priorisierung mit der Lehre in der historischen Rekonstruktion zutage tritt (vgl. Schrittesser 2012: 84). Zugleich gelten auch für jene, die sich demgemäß zuvörderst als Forscher:innen verstehen, zwei Punkte: Erstens muss, wer forscht, auch lehren und zweitens ist universitäres Lehren als Vermittlungsgeschehen immer schon pädagogisch verfasst. Es gilt also, sich im Kontext des eigenen Selbstverständnisses zur Lehre und seiner je spezifischen Vermittlung zu positionieren. Eine erkenntnisleitende Annahme des annoncierten Beitrags ist, dass diese Positionierung umso leichter fällt, je stärker die Studierenden als Kolleg:innen gedeutet werden (z.B. in thematisch engeren Vertiefungsrichtungen oder Masterkolloquien) wohingegen jene, die ‚auf Lehramt‘ studieren vielfach hinsichtlich ihrer späteren beruflichen Tätigkeit adressiert und darauf reduziert werden (vgl. Hedtke 2020).
Der Vortrag möchte sich hinsichtlich dieser Ausgangslage insbesondere dem Pädagogischen als Bezugspunkt der Lehrer:innenbildung zuwenden. Auf Grundlage von Interaktionsprotokollen – hier: der Biologie – aus dem von der DFG geförderten Projekt FAKULTAS – Zwischen heterogenen Lehrkulturen und berufspraktischen Ansprüchen: Fallrekonstruktionen zur universitären Ausbildungsinteraktion im Lehramtsstudium geschieht dies mit einer doppelten Bezugnahme: Erstens hinsichtlich der expliziten Abwehr des Pädagogischen („da wehre ich mich gegen“, Dozent Transkript Bio 2, Übung) und zweitens als die Unmöglichkeit – trotz jener Abwehr – nicht pädagogisch zu lehren. Das Erkenntnisinteresse orientiert sich dabei an einer Figur der doppelten Vermittlung: Die (implizite) Didaktik der für die gewählte Lehrveranstaltung sowie die explizite Aufforderung und auf das Erziehungssystem gerichtete „große Hoffnung“ (Luhmann 1986: 193) der Vermittlung und Bearbeitung ökologischer Fragen und Probleme. Hierbei sollen das fachliche (Selbst-)Verständnis Dozierender bei gleichzeitiger Betonung ihrer Nicht-Zuständigkeit für pädagogische Themen ins Zentrum gerückt werden. Zugleich werden die Studierenden als jene adressiert, die als angehende Lehrer:innen in ihrer pädagogischen Funktion gesellschaftspolitisch bedeutsame Aspekte – hier: der Biologie – im Schulunterricht vermitteln und damit idealerweise nachhaltige Veränderungen anstoßen sollen.
Auf Grundlage einer objektiv-hermeneutischen Fallrekonstruktion zeigt sich hier die latente Pädagogisierung der Lehrinteraktion. Eine zentrale These, die es im Vortrag zu entfalten gilt, weist diese nicht als allgemeines Moment universitärer Lehre, sondern als spezifische Interaktionslogik der Lehrer:innenbildung aus. Hieran gilt es auch die Differenz des Pädagogischen gegenüber der Pädagogisierung theoretisch zu elaborieren.
Der Vortrag soll überdies dazu einladen, nicht nur die eigene Lehrerfahrung als Maßstab dessen, was wir über universitäre Lehre zu wissen glauben, anzulegen – und damit die Annahme eines „Selbstobjektivierungsproblems“ (Wilkesmann 2019: 39; kritisch dazu Kollmer 2023) zu befördern –, sondern sich der universitären Lehre in ähnlicher Weise zuzuwenden, wie es hinsichtlich schulischer Interaktionen längst etabliert ist.
Literatur:
Hedtke, R. (2020): Wissenschaft und Weltoffenheit. Wider den Unsinn der praxisbornierten Lehrerausbildung. In: C. Scheid und T. Wenzl (Hrsg.): Wieviel Wissenschaft braucht die Lehrerbildung? Wiesbaden: Springer VS, S. 79–108.
Kollmer, I. (2023): Ein unbequemes Sujet. Über Irritationspotenziale universitärer Lehre als Gegenstand erziehungswissenschaftlicher Forschung. In U. Binder (Hrsg.): »Irritation« in der Erziehungswissenschaft. Weinheim und Basel: Beltz Juventa, S. 58–71.
Luhmann, N. (1986): Ökologische Kommunikation. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Schrittesser, I. (2012): Respondenz zu Hans Pechars Beitrag „Humboldt in der Massenuniversität? Vom Elend der neuhumanistischen Bildungsreligion.“ In B. Kossek & C. Zwiauer (Hrsg.): Universität in Zeiten von Bologna. Zur Theorie und Praxis von Lehr- und Lernkulturen. Vienna University Press, S. 83–87.
Wilkesmann, U. (2019): Methoden der Hochschulforschung. Eine methodische, erkenntnis- und organisationstheoretische Einführung. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Inkohärenz zwischen theoretischen und praktischen Anteilen bzw. zwischen Phasen der Lehrer:innenbildung erfährt viel Aufmerksamkeit (Degeling et al., 2019; 2021; Reintjes et al., 2021). Professionstheoretisch zeigt sich dies z.B. in der Forderung nach einer „doppelten Professionalisierung“ (Helsper, 2001) oder im Rahmen der Wissensverwendungsforschung (Hericks, 2004). Inkohärenz innerhalb der hochschulischen Lehrer:innenbildung (zwischen den und innerhalb der Komponenten) bleibt hingegen bislang recht unterbelichtet bzw. wird eher konzeptionell als „horizontale Kohärenz“ (Hellmann, 2019) thematisiert. Dies erfolgt meist aus einer vornehmlich einheitstheoretischen (Idel, 2021) oder fachspezifischen (z.B. „Dissonanzen“ in der Deutschlehrer:innenbildung, Führer & Führer, 2019) Sicht. Wie Lehrer:innenbildende mit Inkohärenz umgehen, etwa einheitsstiftend oder relationierend (Cramer, 2020a), ist (in der Literatur) noch kaum bearbeitet worden.
Die Zentrale Forschungsfrage ist demnach: Welche Formen des Umganges mit Inkohärenz liegen in der Profession der Lehrer:innenbildenden vor? Die Leitende Heuristik bildet dabei die Annahme, dass die Lehrer:innenbildung in ihrem professionstheoretischen Diskurs zwischen zwei Fluchtpunkten oszilliert. Auf der einen Seite finden sich Positionen, die Reflexion als Kernanliegen in den Mittelpunkt des professionstheoretischen Diskurses stellen und dabei u.a. auf strukturtheoretische, interaktionistische und kommunikationstheoretische Theoriegebäude und Methodologien rekurrieren (vgl. Helsper, 2021). Andererseits gilt Evidenzorientierung als zentrale Programmatik, wenn eher auf Perspektiven der (Pädagogischen) Psychologie (vgl. Gogolin, Hannover & Scheunpflug, 2020) rekurriert wird.
Die postulierten Fluchtpunkte der Profession der Lehrer:innenbildner:innen werden anhand von Dimensionsclustern zentraler Begriffe der Lehrer:innenbildung, nämlich „Bildungswissenschaften“ und „Fachdidaktik“ (Cramer & Schreiber, 2018; Schreiber & Cramer, 2023; Schreiber et al., 2022), expliziert und diskutiert. Horizontale Kohärenz wird unter der heuristischen Annahme der Fluchtpunkte Reflexion und Evidenzorientierung diskutiert, wobei aus Sicht des professionstheoretischen Ansatzes der Meta-Reflexivität (Cramer, 2020b) angenommen wird, die Differenzen und damit die Inkohärenz zwischen und innerhalb dieser Fluchtpunkte seien nicht per se widerstreitend, sondern kohärent als inkohärent wahrzunehmen.
Cramer, C. (2020a). Kohärenz und Relationierung in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In C. Cramer, J. König, M. Rothland, & S. Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 269–279). Klinkhardt utb. https://doi.org/10.35468/hblb2020-031
Cramer, C. (2020b). Meta-Reflexivität in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In C. Cramer, J. König, M. Rothland, & S. Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 204–214). Klinkhardt utb. https://doi.org/10.35468/hblb2020-024
Cramer, C., & Schreiber, F. (2018). Subject Didactics and Educational Sciences. Relationships and Their Implications for Teacher Education from the Viewpoint of Educational Sciences. Research in Subject-matter Teaching and Learning, 1(2), 150–164. https://doi.org/10.23770/rt1818
Degeling, M., Franken, N., Freund, S., Greiten, S., Neuhaus, D., & Schellenbach-Zell, J. (Hrsg.). (2019). Herausforderung Kohärenz: Praxisphasen in der universitären Lehrerbildung. Bildungswissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven. Klinkhardt.
Führer, C., & Führer, F.-M. (Hrsg.). (2019). Dissonanzen in der Deutschlehrerbildung. Theoretische, empirische und hochschuldidaktische Perspektiven. Waxmann.
Gogolin, I., Hannover, B. & Scheunpflug, A. (Hrsg.). (2020). Evidenzbasierung in der Lehrkräftebildung. Springer VS.
Hellmann, K. (2019). Kohärenz in der Lehrerbildung – Theoretische Konzeptionalisierung. In K. Hellmann, J. Kreutz, M. Schwichow, & K. Zaki (Hrsg.), Kohärenz in der Lehrerbildung. Theorien, Modelle und empirische Befunde (S. 9–30). Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23940-4
Helsper, W. (2001). Praxis und Reflexion. Die Notwendigkeit einer „doppelten Professionalisierung“ des Lehrers. Journal für Lehrerinnen- und Lehrerbildung, 1(3), 7–15.
Helsper, W. (2021). Professionalität und Professionalisierung in pädagogischen Handlungsfeldern: Eine Einführung. utb.
Hericks, U. (2004). Verzahnung der Phasen der Lehrerbildung. In S. Blömeke, P. Reinhold, G. Tulodziecki, & J. Wildt (Hrsg.), Handbuch Lehrerbildung (S. 301–311). Klinkhardt.
Idel, T.-S. (2021). Jenseits von „Verzahnung“. Plädoyer für eine differenztheoretische Sicht auf Kohärenz in der Lehrkräftebildung. In C. Reintjes, T.-S. Idel, G. Bellenberg, & K. V. Thönes (Hrsg.), Schulpraktische Studien und Professionalisierung: Kohärenzambitionen und alternative Zugänge zum Lehrberuf (S. 243–258). Waxmann.
Reintjes, C., Idel, T.-S., Bellenberg, G., & Thönes, K. V. (Hrsg.). (2021). Schulpraktische Studien und Professionalisierung: Kohärenzambitionen und alternative Zugänge zum Lehrberuf. Waxmann. https://doi.org/10.31244/9783830994336.
Schreiber, F., & Cramer, C. (2023). Was sind Bildungswissenschaften? Systematik vielfältiger Auffassungen in der wissenschaftlichen Literatur. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 26(1), 185–210. https://doi.org/10.1007/s11618-023-01140-4
Schreiber, F., Cramer, C., & Randak, M. (2022). Aufgaben und Verortungen der Fachdidaktik in wissenschaftlicher Literatur. Systematische Annäherung an den Begriffsgebrauch. Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung, 40(1), 97–110. https://doi.org/10.25656/01:24548
Internationale Debatten über die Qualität der Lehrer:innenbildung rücken zunehmend jene Akteur:innen in den Fokus, die an der Bildung von Lehrkräften beteiligt sind: die sog. Lehrkräftebildner:innen. Nach Schratz (2015) spielen Lehrkräftebildner:innen in verschiedenen Bildungsinstitutionen (u.a. Universität, Schule) eine Schlüsselrolle, unabhängig davon, welche Funktion(en) sie wahrnehmen und welcher Institution sie zugehörig sind. In diesem Beitrag soll aufgezeigt werden, dass neben dem an der Universität lehrenden, wissenschaftlichen Personal vor allem schulische Lehrkräfte in ihrer Rolle als Mentor:innen zentrale Akteur:innen der universitären Lehrkräftebildung sind, dessen professionsbezogenes Selbstverständnis in der Forschung unterrepräsentiert ist (Schrittesser, 2020).
Die zunehmende Relevanz schulischer Mentor:innen geht mit der reformierten „Praxiswende“ (Fraefel, 2016) der deutschen Lehrer:innenbildung einher, die zu einer Ausweitung schulischer Praxisphasen und dadurch zu einer größeren Beteiligung schulischer Lehrkräfte in der universitären Ausbildung führte (Weyland & Wittmann, 2015). Gleichzeitig zeigt sich aus empirischer Perspektive wiederkehrend, dass sich bei Studierenden des Lehramts der „Mythos des Praktischen“ (Rehfeldt et al., 2018) ungebrochen manifestiert und die „praxisbezogenen Erfahrungen im künftigen Berufsfeld unabhängig von ihrer Qualität als wichtiger und besser beurteilt [werden] als die theoretischen Ausbildungsanteile“ (Hascher, 2011). Demnach erscheint es plausibel, dass sich Studierende während der Praxisphase in besonderer Weise an ihren schulischen Mentor:innen orientieren, die sie als erfahrene Praktiker:innen im Berufsfeld wahrnehmen (u.a. Hobson et al., 2009). Die entsprechende Bedeutung von Mentor:innen hinsichtlich der Herausbildung eines praktischen Habitus professionellen Könnens im Sinne einer „doppelten Professionalisierung“ (Helsper, 2021) macht sie zu einer zentralen Stellgröße innerhalb des Personals der Lehrer:innenbildung.
Allerdings zeichnet der Diskurs zum Mentoring ein ambivalentes Bild dieser Professionsrolle. Bereits auf semantischer Ebene zeigen sich begriffliche Unschärfen, die jeweils divergente Rollen innerhalb der Lehrer:innenbildung definieren. Gemeint sind Termini wie „Mentor:innen“ oder „Coach:innen“ (Reintjes et al., 2018), „Praxislehrpersonen“ oder „Lernbegleiter:innen“ (Schnebel, 2020), um nur einige der kursierenden Bezeichnungen zu benennen. Damit einher gehen jedoch jeweils disparate Erwartungen, Aufgaben und Anforderungen, die an die Gruppe schulischer Lehrkräftebildner:innen gerichtet werden. Daraus entsteht im Hinblick auf das Professionsverständnis schulischer Lehrkräftebildner:innen eine Tendenz zur Rollendiffusion, die einer näheren Betrachtung bedarf. Darüber wird deutlich, dass sich die Profession aus einer (zumeist unfreiwilligen) Zusatzaufgabe konstituiert (Gröschner & Häusler, 2014). Es ist davon auszugehen, dass Mentor:innen für die (Aus)bildung von Lehrkräften entsprechend wenig Commitment aufbringen, da sie ihre Hauptfunktion im Unterrichten von Schüler:innen sehen und weniger in der übertragenen Betreuung oder gar Bildung von angehenden Lehrkräften (Schratz, 2015).
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage welches Professions- bzw. Selbstverständnis schulische Akteur:innen innerhalb der Lehrkräftebildung haben. In unserem Vortrag wird zur Aufklärung dieser Frage eine explorative Interviewstudie mit schulischen Mentor:innen im nordrheinwestfälischen Praxissemester vorgestellt. Das Interviewmaterial wurde in einem sequenzanalytisch, rekonstruktivem Verfahren ausgewertet und strukturtheoretisch interpretiert. Ergebnisse der bisher rekonstruierten Fälle zeigen, dass das Professionsverständnis jener Lehrkräftebildner:innen, die in der schulischen Praxis tätig sind und in der skizzierten Doppelrolle agieren, zunächst ambivalent einzuschätzen ist und sich schwer auf spezifische professionsbezogene Selbstbeschreibungen vereinheitlichen lässt. Die Ambivalenzen innerhalb dieser Struktur (Helsper, 2021) und professionstheoretische Bezüge (Hermann & König, 2016) werden in unserem Beitrag vertieft, an Beispielen der Fallstudie erläutert und durch weiterführende Anregungen zur Diskussion gestellt.
Literatur
Fraefel, U. (2016). Professionalisierung im Schulfeld: Von einem diskursiven Feld innerhalb der Lehrerinnen- und Lehrerbildung zu einem eigenständigen Forschungsbereich. In J. Košinár, S. Leineweber & E. Schmid (Hrsg.), Professionalisierungsprozesse angehender Lehrpersonen in den berufspraktischen Studien (S. 7–12). Münster: Waxmann.
Gröschner, A. & Häusler, J. (2014). Inwiefern sagen berufsbezogene Erfahrungen und individuelle Einstellungen von Mentorinnen und Mentoren die Lernbegleitung von Lehramtsstudierenden im Praktikum voraus? In K.-H. Arnold, A. Gröschner & T. Hascher (Hrsg.), Schulpraktika in der Lehrerbildung. Theoretische Grundlagen, Konzeptionen, Prozesse und Effekte (S. 335–358). Münster: Waxmann.
Hascher, T. (2011). Vom „Mythos Praktikum“ … und der Gefahr verpasster Lerngelegenheiten. Journal für Lehrerinnen- und Lehrerbildung, 11(3), S. 8-16.
Helsper, W. (2021). Professionalität und Professionalisierung pädagogischen Handelns: Eine Einführung (1. Aufl.). Verlag Barbara Budrich.
Herzmann, P. & König, J. (2016). Lehrerberuf und Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
Hobson, A. J., Ashby, P., Malderez, A. & Tomlinson, P. D. (2009). Mentoring beginning teach¬ers: What we know and what we don’t. Teaching and Teacher Education, 25(1), S. 207–216.
Rehfeldt, D. et al. (2018). Mythos Praxis um jeden Preis? Die Wurzeln und Modellierung des Lehr-Lern-Labors. Die Hochschullehre. Interdisziplinäre Zeitschrift für Studium und Lehre, 4(1), S. 90-114.
Reintjes, C., Bellenberg, G. & im Brahm, G. (2018). Mentoring und Coaching als bedeutsame Lerngelegenheit zur Professionalisierung. In C. Reintjes, G. Bellenberg & G. im Brahm. Mentoring und Coaching als Beitrag zur Professionalisierung angehender Lehrpersonen (S. 7-22). Münster: Waxmann.
Schnebel, S. (2020). Coaching und Mentoring als Gegenstand der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In C. Cramer, J. König, M. Rothland & S. Blömeke (Hrsg.). Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 85-90). Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
Schratz, M. (2015). LehrerbildnerInnen. Die „unsichtbare Profession“ aus der Policy-Perspektive. Journal für LehrerInnenbildung, 15(2), S. 40-44.
Schrittesser, I. (2020). Qualifikationswege Dozierender in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In C. Cramer, J. König, M. Rothland & S. Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 843–850). Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
Weyland, U. & Wittmann, E. (2015). Langzeitpraktika in der Lehrerausbildung in Deutschland. Stand und Perspektiven. Journal für LehrerInnenbildung, 15 (1), S. 8-21.
Die in den Hochschuldienst abgeordneten Lehrkräfte sind schulpraktisch erfahrene Beamt:innen, die von den Kultusbehörden befristet an Hochschulen abgeordnet werden, um die erste Phase der Lehrer:innenbildung inhaltlich und personell zu unterstützen. Sie werden vielerorts im Rahmen von bildungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Lehrveranstaltungen sowie schulpraktischen Studien eingesetzt und in der Forschung tätig. In einzelnen Publikationen wird aufgezeigt, dass der berufliche Übergang zwischen Schule und Hochschule aus individueller Perspektive mitunter als (potentiell) konflikthaft und unterschiedlich spannungsreich wahrgenommen wird (vgl. Kreische, 2020, S. 29; vgl. Naumann, 2021, S. 391).
Weitere empirische Befunde deuten auf produktiv angesehene Vorstellungen und Überzeugungen einzelner abgeordnete Lehrkräfte zu Theorie-Praxis-Relationen. Auf dieser Grundlage kann die Bedeutung von den in den Hochschuldienst abgeordneten Lehrkräften für den Wissenstransfer zwischen Schule und Universität angenommen werden (Klomfaß & Kesler 2019; Klomfaß et. al. 2020). Da diese Lehrkräfte in einem differenztheoretischen Verständnis mit unterschiedlichen Weltsichten und strukturellen Bedingungen beider Institutionen sozialisiert werden, erscheint u.a. fraglich, wie sie den Anforderungswechsel zwischen Schule und Hochschule (vor dem Hintergrund ihrer kollektiven Erfahrungen) wahrnehmen und bewältigen.
Die laufende Studie zielt auf die Rekonstruktion der Orientierungsrahmen von (ehemalig) in den Hochschuldienst abgeordneten Lehrkräften im Zuge ihrer beruflich-institutionellen Transition. Trotz der anhaltenden Diskussion um das sog. „Theorie-Praxis-Verhältnis“ (Rothland, 2020), wurden die Transitionsprozesse dieser Personen bislang kaum untersucht.
Damit werden Forschungsdesiderata adressiert, indem typische Anpassungsprozesse bzw. Auseinandersetzungen im Rahmen der Laufbahnen von abgeordneten Lehrkräften in Bezug auf die Bedingungen und Herausforderungen im Feld der Lehrer:innenbildung (für diese Personen) gezielt in den Forschungsfokus rücken.
Um die Transitions- bzw. Entwicklungsprozesse im Laufbahnkontext von abgeordneten Lehrkräften unter Einbeziehung der feldspezifischen konstitutiven Bedingungen herauszuarbeiten, werden im Verlauf der Untersuchung verschiedene sensibilisierende Konzepte nach Blumer (1954) angewandt.
Es wurden leitfadengestützte Interviews (vgl. Hopf, 2009, S. 358) mit 27 (ehemals) in den Hochschuldienst abgeordneten Lehrkräften (Erziehungswissenschaft und Fachdidaktiken) zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten geführt, die mit der Dokumentarischen Methode (vgl. Bohnsack 2014) ausgewertet werden.
Vor diesem Hintergrund ergeben sich folgende erkenntnisleitenden Fragestellungen:
Im Zuge der initialen Datenauswertung lassen sich in Bezug auf die Verarbeitung des beruflichen Wechselprozesses auf der Anforderungsseite mehrere differente (krisenhafte) Wahrnehmungen und Erfahrungen feststellen. In diesem Zusammenhang finden sich bei den Untersuchungspersonen unterschiedliche Strategien in der Anforderungs- und Krisenbewältigung vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen durch die Abordnung. Insofern gestalten sich die Laufbahnen der Untersuchungspersonen auf unterschiedliche Weisen. Überdies zeichnet sich ab, dass die Vorstellungen in Bezug auf die Felder Schule und Hochschule und deren Bewertung differieren. Im Vortrag wird u.a. anhand eines Fallvergleichs aufgezeigt, wie abgeordnete Lehrkräfte den (mehrfachen) Anforderungswechsel im Zuge des Transitionsprozesses auf unterschiedliche Weisen konflikthaft wahrnehmen und ihre (berufliche) Rolle aushandeln bzw. konstruieren. Darüber hinaus werden (vorläufige) fallübergreifende Zwischenergebnisse und ein Ausblick auf den Fortgang der Studie skizziert.
Literatur
Blumer, Herbert (1954): What is Wrong with Social Theory? American Sociological Review, 3-10.
Bohnsack, R. (2014). Rekonstruktive Sozialforschung: Einführung in qualitative Methoden (9., durchgesehene Auflage). Verlag Barbara Budrich.
Hopf, C. (2009). Qualitative Interviews – ein Überblick. In U. Flick, E. von Kardorff, & I. Steinke (Hrsg.), Qualitative Forschung: Ein Handbuch (S. 349–360). rowohlts enzyklopädie im Rowohlt Taschenbuch Verlag.
Klomfaß, S., & Kesler, W. (2019). Welchen Transfer können Lehrerinnen und Lehrer im Hochschuldienst leisten? In N. van Holt & V. Manitius, Transfer zwischen Lehrer(fort)bildung und Wissenschaft (1. Aufl., S. 211–230). wbv Publikation.
Klomfaß, S., Kesler, W., & Stier, J. (2020). Praxisansprüche—Theorie-Praxis-Reflexionen abgeordneter Lehrer_innen im Hochschuldienst. HLZ, 3(2), 151–163.
Kreische, T. (2020). Wissensaustausch durch Personalaustausch? Pädagogik 10/2020, 27–29. https://doi.org/10.3262/PAED2010027
Naumann, I. (2021). „Ich fühle mich ein bisschen wie eine Schülerin oder eine Studentin“ – Grundschullehrer*innen im Hochschuldienst. In N. Böhme, B. Dreer, H. Hahn, S. Heinecke, G. Mannhaupt, & S. Tänzer (Hrsg.), Mythen, Widersprüche und Gewissheiten der Grundschulforschung: Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahame nach 100 Jahren Grundschule (S. 387–396). Springer VS.
Rothland, M. (2020). Theorie-Praxis-Verhältnis in der Lehrerinnen und Lehrerbildung. In C. Cramer, J. König, M. Rothland, & S. Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 104–139). Verlag Julius Klinkhardt.
Wenngleich soziale Verhältnisse der Differenz, Diskriminierung und (Bildungs-)Ungleichheit relevante Topoi in erziehungswissenschaftlichen und bildungspolitischen Debatten sind, gewinnt deren professionalisierungswirksame Auseinandersetzung in der Lehrer:innenbildung nur langsam an Bedeutung (Barasi i.E.). Zugleich verweisen erste Forschungen zu entsprechenden Professionalisierungsräumen auf spezifische Dynamiken. Sie beziehen sich auf die Wechselwirkung zwischen Schulentwicklung und Professionalisierung (Doğmuş/Steinbach i.E.), auf thematische Aushandlungen zwischen (angehenden) Lehrer:innen (Barasi i.E.; Doğmuş i.E.; Steinbach/Tilch i.E.) und schließlich auch auf Positioniertheiten und Adressierbarkeiten von Lehrkräftebildner:innen. Differenz, Diskriminierung und (Bildung-)Ungleichheit konstituieren sich somit als Gegenstand der Professionalisierung und währenddessen auch als komplexes Bedingungsgefüge der Professionalisierungsräume.
Dabei sind drei analytisch differenzierbare Aufmerksamkeitsrichtungen bedeutsam: (1) Die eigene soziale Positioniertheit etwa bei der Übernahme der Aufgabe als Fortbildner:in für Lehrkräfte, die im Rahmen der eigenen (Berufs-)Biografie relevant gesetzt wird (Uçan et al. i.E.). Dies zeigt sich auch in einer zunehmenden wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für die Diversifizierung von Schulkollegien und Beobachtung von Differenzkategorien, wie etwa Lehramtsstudierende ohne Abitur (Klomfaß/Epp, 2021) oder Lehrpersonen, denen das Etikett “Migrationshintergrund” zugeschrieben wird (Terhart, 2021). (2) Die Adressierbarbeiten von Lehrkräftebildner:innen im Rahmen sozialer Positioniertheiten mit der Herstellung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden (Barasi i.E.) und (3) die Adressierbarkeiten von Lehrkräftebildner:innen im Rahmen der Thematisierungsmodi von Differenz, Diskriminierung und Ungleichheit, in die soziale Positioniertheiten eingewoben sein können.
Die Arbeitsgruppe knüpft an dieses komplexe Bedingungsgefüge an und fragt an der Schnittstelle von Differenz- und Professionstheorie nach den Zusammenhängen der Positioniertheiten von (angehenden) Lehrer:innen und Lehrkräftebildner:innen sowie den Adressierbarkeiten von Lehrkräftebildner:innen, die vor dem Hintergrund sozialer Positioniertheiten und den Anforderungen bei der Thematisierung von Differenz, Diskriminierung und Ungleichheit aktiviert werden können. Somit greift die Arbeitsgruppe ein Desiderat auf, mit dem das Zusammenspiel von Differenz, Diskriminierung und Ungleichheit nicht nur als Potenzial für Professionalisierungsprozesse in der Lehrer:innenbildung, sondern auch als Potenzial für die Professionalisierung von Lehrkräftebildner:innen, folglich der Gestaltung einer differenzkritischen (Schul-)Pädagogik mit Blick auf Spannungsfelder und Widersprüchen diskutierbar wird.
Diese Fragen sollen anhand ausgewählter Ergebnisse von qualitativen Forschungsprojekten zur Lehrkräftebildung an Hochschule (Vortrag1) und zu berufsbegleitenden Lehrkräftefortbildungen (Vortrag 2 und 3) sowie übergreifend diskutiert werden.
„Naja, [der Professor] ist zwar auch PoC, aber er ist halt trotzdem nicht wie du und ich“ – Thematisierbarkeit migrationsgesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse im Kontext der sozialen Positioniertheit und Adressierbarkeit von Lehrkräftebildner:innen im Lehramtsstudium
Dennis Barasi
Lehrkräftebildner:innen in der universitären Lehrer:innenbildung sind nicht nur migrationsgesellschaftlich, sondern auch aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen ‚Statusgruppen‘ innerhalb der Universität unterschiedlich positioniert (Karakaşoğlu 2016). Ausgehend von einer empirischen Studie, in der Professionalisierungsprozesse rassismuskritisch analysiert werden, wird untersucht, inwiefern Lehrkräftebildner:innen von Lehramtsstudierenden hinsichtlich der oben genannten Dimensionen positioniert werden. Daran anknüpfend wird im ersten Vortrag erörtert, inwiefern sich diese Positionierungen darauf auswirken, ob die von den positionierten Lehrkräftebildner:innen angebotenen Seminare von Studierenden als Reflexionsräume wahrgenommen werden, die das Sprechen über Rassismus(-erfahrungen) ermöglichen.
Umfangreiche, teilweise über zwei Semester reichende, Teilnehmende Beobachtungen in erziehungswissenschaftlichen und physikdidaktischen Seminaren, die durch Forschungsgespräche (Breuer et al. 2019) mit Lehramtsstudierenden aus den Seminaren ergänzt werden, fundieren diesen Beitrag empirisch.
„Weil das einen nochmal so richtig in der Komfortzone erwischt“ – Ambivalente Adressierungen an Lehrer:bildner:innen im Kontext rassismuskritischer Professionalisierungsprozesse am Beispiel der dritten Phase der Lehrer:innenbildung
Aysun Doğmuş und Anja Steinbach
Der zweite Vortrag rekonstruiert explizite und implizite Adressierungen an Lehrkräftebildner:innen, die sich im Rahmen von Fortbildungen während der inhaltlichen und (selbst-)reflexiven Auseinandersetzung mit Rassismus entfalten und mindestens in zweierlei Hinsicht ambivalent sind: Die Thematisierung soll (1) nicht appellhaft-moralisierend, die „Komfortzone“ störend oder das Engagement gegen Rassismus übersehend sein und sich (2) an den sozialen Positioniertheiten der Teilnehmer:innen orientieren. Damit wird der empirische Blick auf die Fortbildungsinhalte zu Rassismus/-kritik, Aushandlungen, (Um-)Deutungen, Annäherungen und Distanzierungen gerichtet und die sich aus den ambivalenten Adressierungen evozierten Anforderungen an Lehrer:bilder:innen diskutiert. Die Analysen sind Bestandteil zweier qualitativ-rekonstruktiven Studien, die in rassismuskritisch angelegten Langzeitfortbildungen mit dem Fokus auf die Wechselwirkung von Schulentwicklung und Professionalisierung entstanden sind. Der Vortrag bezieht sich auf Analysen der teilnehmenden Beobachtung, sowie auf Interviews und Gruppendiskussionen mit Lehrer:innen und Schulsozialpädagog:innen.
“und auch von Schicksalen und Dinge mit denen hat‘ ich vorher nichts zu tun”. Berufsbiografische Konstruktionen von Lehrkräftefortbildner:innen zwischen Privilegierungen und Benachteiligungen
Yasemin Uçan und Henrike Terhart
Mit dem Anspruch, durch sprachliche Bildung Bildungsbenachteiligung entgegenzuwirken, wurden in den letzten Jahren entsprechende Maßnahmen an deutschen Schulen etabliert. Eine zentrale Rolle kommt darin Fortbildner:innen zu, die Lehrkräfte berufsbegleitend weiterqualifizieren. Ausgehend von einem berufsbiografischen Professionsverständnis soll der Frage nachgegangen werden, wie Lehrkräftefortbildner:innen die eigene Berufsbiografie vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Differenzkategorien entwerfen und verhandeln. Dabei wird ein besonderer Fokus auf die intersektionale Verschränkung sozialer Differenzen gerichtet, die als benachteiligende und privilegierende Faktoren in den pädagogischen Selbstpositionierungen wirksam werden. Auf der Basis von (berufs-)biografischen Erzählungen von Lehrkräftefortbilder:innen wird im dritten Vortrag aufgezeigt, dass ein Teil von ihnen den Abbau sozialer Ungleichheiten als handlungsleitendes Motiv für ihr Engagement in der sprachlichen Bildung darlegt, dieses jedoch unterschiedlich gelagert begründet.
Literatur
Barasi, D. (i.E.). Studieren unter Bedingungen des ökonomisierten Lehramtsstudiums. Eine rassismuskritische Perspektive auf Professionalisierungsprozesse angehender Lehrer:innen. Wiesbaden: Springer VS.
Breuer, F./Muckel, P./Dieris, B. (2019): Reflexive Grounded Theory. Eine Einführung in die Forschungspraxis. Wiesbaden: Springer VS.
Doğmuş, A. (i.E.). Gleichheitsbekundungen unter Verbündeten - Rassismus und das Un-/Sagbare an den Schnittstellen von Professionalisierung, Schule und Schulentwicklung. In K. Bräu, J. Budde, M. Hummrich & F. Klenk (Hrsg.), Vielfaltsorientierung und Diskriminierungskritik. Opladen: Barbara Budrich.
Doğmuş, A./Steinbach, A. (i.V.). Symbolische Ordnung in der Krise – Schulische Transformation im Spannungsfeld institutionalisierter Routinen und rassismuskritischer Professionalisierung am Beispiel von Lehrer:innenfortbildungen. Zeitschrift für erziehungswissenschaftliche Migrationsforschung, 2/2024.
Karakaşoğlu, Y. (2016). Hochschule. In P. Mecheril (Hrsg.), Handbuch Migrationspädagogik (S. 386-402). Weinheim: Beltz/Juventa.
Klomfaß, S./Epp, A. (Hrsg.) (2021). Auf neuen Wegen zum Lehrberuf. Bildungsbiografien nicht-traditioneller Lehramtsstudierender und biografisches Lernen in der Lehrerbildung. Weinheim/Basel: Beltz/Juventa.
Steinbach, A./Tilch, A. (i.E.). Zur Bedeutung und Funktion von Lachen im Sprechen über Rassismus. Abwehr und (De)Thematisierungen im Fortbildungskontext. In K. Bräu, J. Budde, M. Hummrich, F. C. Klenk (Hrsg.), Vielfaltsorientierung und Diskriminierungskritik. Ansprüche und Widersprüche schulischer Bildung. Opladen: Barbara Budrich.
Terhart, H. (2021). Teachers in Transition. A Biographical Perspective on Transnational Professionalisation of Internationally Educated Teachers in Germany. European Educational Research Journal, 21(2), 293-311.
Uçan, Y./Lawida, C./Sieger, S./Terhart, H./Roth, H.-J. (eingereicht). Multiplikation in der Lehrkräftefortbildung. Eine Typologie des (berufs-)biografischen Selbstverständnisses von Multiplikator:innen in der sprachlichen Bildung. Lehrerbildung auf dem Prüfstand.
Ausbilder:innen in der Lehrer:innenbildung unterscheiden sich ausbildungsphasen- und länderspezifisch hinsichtlich ihrer Funktionen und Rollen – und damit auch hinsichtlich der Aufgaben, die ihnen in der Begleitung angehender Lehrpersonen zukommt. Mit ihrer jeweiligen institutionellen Zugehörigkeit wird eine weitere Differenz aufgemacht. Ob sie als Ausbilder:in der Hochschule, dem Landesinstitut oder der Praktikumsschule angehören, hat insofern Bedeutung, da sie gegenüber den Studierenden (oder Referendar:innen) die jeweiligen Normen der Organisation(en) zu vertreten haben. Diese drücken sich einerseits in formal-rechtliche Vorgaben (z.B. Bewertungskriterien, Abläufe, Gesprächsformate) aus und andererseits transportieren sie Professionalisierungserwartungen der Institution, die bestimmten professionstheoretischen Konzepten folgen. Diese finden ihren Ausdruck als implizite Erwartungen an das Ausbilder:innenhandeln oder als explizite Vorgaben für die didaktische Gestaltung (von Seminaren, Gesprächen). Sich zu diesen Normen mit dem eigenen Professions- und Ausbilder:inverständnis ins Verhältnis zu setzen, wirft mögliche Spannungsverhältnisse auf und erfordert eine Positionierung und einen Umgang mit diesen durch die Ausbilder:innen.
Unsere Arbeitsgruppe möchte diesem Spannungsverhältnis zwischen Institutionsnormen (Bohnsack, Bonnet & Hericks, 2022) und der Aushandlung vor dem Hintergrund der Ausbilder:inorientierungen (Kosinar & Laros, 2023) anhand audiografierter Unterrichtsnachbesprechungen nachgehen. Dabei vergleichen wir das Ausbildungshandeln von deutschen Fachleitungen mit jenem von Praxislehrpersonen der Schweiz und aus Australien.
Den drei Beiträgen liegt Material aus dem Internationalen Projekt «Ausbildungsgespräche professionalisierungsorientiert gestalten (AProGe)» zugrunde. Die Analyse der Daten aus in-situ-Situationen folgt dem rekonstruktiven Verfahren der dokumentarischen Methode (Bohnsack, 2017), das für die Interaktionsanalysen leicht modifiziert wurde. Dieses Verfahren wird sowohl für die Forschung (Beitrag 1 und 2) als auch in der Fortbildung von Ausbilder:innen eingesetzt (vgl. Beitrag 3).
Es werden zunächst zentrale Informationen zu den Funktionsträger:innen und die Ausbildung rahmenden Konzeptionen gegeben (’10), bevor drei Einzelbeiträge folgen.
Beitrag 1 differenziert die Institutionsnormen theoretisch aus und veranschaulicht die Anforderungen, die im Umgang mit diesen aufgeworfen werden an Fallbeispielen. (‘20 + ‘5)
Beitrag 2 zeigt entlang von Unterrichtsnachbesprechungen schulischer Ausbilder:innen in Australien und der Schweiz, wie Institutionsnormen mit den rekonstruierten Ausbilder:inorientierungen verhandelt werden. (‘20 + ‘5)
Beitrag 3 stellt ein Fortbildungskonzept vor, in dem Ausbilder:innen eigene Unterrichtsnachbesprechungen analysieren. Konzept und Vorgehen sowie angestoßene Erkenntnisse werden an Beispielen vorgestellt. (‘20 + ‘5)
Die Arbeitsgruppe schließt mit einer Diskussion mit den Teilnehmer:innen (‘30), in der wir mögliche Konsequenzen für die Qualifizierung von Ausbilder:innen diskutieren wollen.
Beitrag 1 Carola Junghans (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg)
Ausbilder:innenhandeln als doppelte Anforderungsstruktur
Im Zentrum dieses Beitrags steht die Berufsgruppe der Ausbilder:innen im Vorbereitungsdienst in Deutschland. Ihr Ausbildungsauftrag lautet, im Anschluss an die KMK-Bildungsstandards (2019), Professionalisierungsprozesse von angehenden Lehrpersonen im berufspraktischen Feld anzustoßen. Die, in den Bundesländern unterschiedliche, institutionelle Organisation des Vorbereitungsdienstes ist mit Normen verbunden, die ihren Ausdruck u.a. in Ausbildungs- und Prüfungsordnungen finden. In ihnen wird implizit und explizit auf professionalisierungstheoretische Positionen Bezug genommen, wodurch diese selbst eine normative Perspektive erhalten. Im Beitrag wird der Frage nachgegangen, inwiefern durch diese Bezugnahme auf theoretische Grundpositionen und empirische Befunde zu Professionalisierungsprozessen (Kosinar 2014; Krüger 2014; Gerlach 2020; Wiernik 2020) spezifische Anforderungen an das Handeln von Ausbilder:innen hervorgehen, wenn dieses – mit Blick auf die angehenden Lehrpersonen – als ein professionalisierungsförderliches Handeln und – mit Blick auf die Ausbildenden selbst – als ein professionalisiertes Handeln beschrieben wird. Es wird also davon ausgegangen, dass Ausbildende in eine doppelte Anforderungsstruktur eingestellt sind und ihnen eine doppelte Expertise abverlangt wird: einerseits für das Fach, für das sie ausbilden und andererseits für die Begleitung des Professionalisierungsprozesses angehenden Lehrpersonen. An Beispielen aus transkribierten Unterrichtsnachbesprechungen kann veranschaulicht werden, dass für diese zweite Perspektive professionalisierungstheoretisches wissenschaftliches Wissen relevant wird, auf dessen Basis Spannungsfelder der Ausbildungsarbeit erkannt und bearbeitet werden können.
Beitrag 2 Tamina Kappeler & Julia Kosinar (Pädagogische Hochschule Zürich)
Schulische Ausbilder:innen in der Schweiz und in Australien in Unterrichtsnachbesprechungen – vom Umgang mit Institutionsnormen und Anforderungen im Ländervergleich
Für die Ausbildung Lehramtsstudierender kommt den Praxislehrpersonen insbesondere in der einphasigen schweizerischen und australischen Lehrer:innenbildung eine zentrale Rolle zu (Reintjes, Bellenberg, & im Brahm, 2018). In beiden Kontexten begleiten erfahrene Lehrpersonen nach einer weiterbildenden Qualifizierung Studierende im Rahmen von Praktika und führen mit ihnen regelmässig Unterrichtsnachbesprechungen durch, welche als (potenzielle) Räume für Lernangelegenheiten gelten (Kreis, 2012). Diese Teilstudie im Projekt AProGe vergleicht, wie sich Schweizer und australische Praxislehrpersonen bzw. Supervising Teachers mit ihren Ausbilder:inhabitus (Helsper, 2018, Kosinar & Laros, 2023) zu den wahrgenommenen Institutionsnormen ins Verhältnis setzen. Dabei kommen die Ausbildungskonzepte der jeweiligen Hochschule zur Anwendung, die wir als Institutionsnormen (Bohnsack, Bonnet & Hericks, 2022) fassen. Mit der Rekonstruktion der autographierten Gespräche wird der Orientierungsrahmen im weiteren Sinne (Bohnsack, 2017) erfasst und fallkomparativ ausgeschärft. In unserem Beitrag stellen wir das Analysevorgehen vor und veranschaulichen anhand ausgewählter Fallrekonstruktionen länderspezifische Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Bisherige Analysen deuten darauf hin, dass in australischen Nachbesprechungen die Fachexpertise der Ausbilder:innen das Gespräch strukturiert während sich die Schweizer Praxislehrpersonen eher an einer kollegialen, ko-konstruktiven Unterrichtsbesprechung orientieren.
Beitrag 3 Julia Kosinar & Carola Junghans
Den eigenen handlungsleitenden Normen und Orientierungen auf die Spur kommen – eine Fortbildung mit Fachleitungen der 2. Phase
Die Aus- und Weiterbildung von Ausbilder:innen wird in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Lehrpersonen, die für die Übernahme der Betreuung von Referendar:innen als Fachleiter:innen, abgeordnet werden, erhalten i.d.R. keine systematische Qualifizierung. Im Rahmen des Internationalen Projekts AProGe werden neben den forschungsbezogenen Teilstudien auch Fortbildungskonzepte erprobt. In Kooperation mit dem ZfsL Leverkusen wurde ein Fortbildungsprogramm entwickelt, in dessen Rahmen Fachleitungen mehrmals eigene audiografierte Ausbildungsgespräche einbringen, die nach einer Vorauswahl geeigneter Sequenzen in Kleingruppen analysiert werden (Kosinar, Junghans & Hornbruch i.V./2024). Die Sequenzauswahl durch die Referent:innen orientiert sich am Entwicklungsanliegen, das die Ausbilder:innen selbst einbringen. Das Analysevorgehen folgt den Schritten der Dokumentarischen Methode (Nohl, 2006), das für die Rekonstruktion von Interaktionsgesprächen (vgl. Beitrag 2) modifiziert und für die Fortbildung als detaillierte Fragen an das Material angelegt wurde. Wie die Durchführung des ersten Fortbildungsworkshops zeigt, ist es den Teilnehmer:innen nicht nur möglich, im gemeinsamen, moderierten Prozess, ihre handlungsleitenden Orientierungen in der vorliegenden Situation zu identifizieren, sondern auch, sich darauf einzulassen, dass ihr bisheriges Rollenverständnis oder ihre bisherige Überzeugung von der eigenen Gesprächsgestaltung irritiert wird. Im Beitrag werden das Fortbildungskonzept und die Anwendung der Analysemethode mit Forschungslaien vorgestellt. Die Nachhaltigkeit des Vorgehens als Qualifizierungsformat wird auf der Erfahrungsbasis der Durchführung des 1. Durchgangs diskutiert.
Theorie- und Forschungsperspektiven sind nicht nur differente Zugänge zu Gegenständen – sie bringen letztere selbst mit hervor. Theoretische wie methodologische Prämissen präformieren, was wie in den Blick kommen kann. Forschende müssen sich deshalb selbstreflexiv die Frage stellen, was die eigene Forschungspraxis mit den Beforschten macht (Thompson & Wrana, 2019). Vor diesem Hintergrund greift die Arbeitsgruppe die gegenstandskonstitutive Frage auf, wie das Personal der Lehrer:innenbildung in unterschiedlichen Forschungsperspektiven von den Forschenden positioniert wird und welche Implikationen hiermit für die Generierung von Erkenntnissen hinsichtlich der Praxis der Lehrer:innenbildner:innen verbunden sind.
Judith Küper und Corrie Thiel gehen in ihrem Vortrag „Affirmation statt Kritik? Zur Positionierung des Personals in traditionstheoretischen Perspektivierungen der Lehrer:innenbildung“ der Frage nach, wie Lehrkräftebildner:innen in traditionstheoretischen Perspektivierungen der Lehrer:innenbildung (Bellmann, Küper, Hans, & Thiel, 2021) positioniert werden. Ein Ausgangspunkt für den Rückgriff auf traditionstheoretische Perspektivierungen der Lehrer:innenbildung war die Beobachtung, dass die schulpraktische Ausbildung angehender Lehrer:innen forschungsseitig zumeist als defizitär in den Blick rückt. Ein Einsozialisiert-Werden in bestehende Strukturen wird befürchtet (z.B. Kunze, 2014). Die etablierte Praxis gilt als konservativ und innovierungs- auf jeden Fall reflexionsbedürftig. Demgegenüber erscheinen die Ausbilder:innen in einer traditionstheoretischen Perspektive als Vertreter:innen einer Praxistradition, die für einen Lebensbereich gemeinsam Sorge tragen und ein Gefühl dafür teilen, wofür es in diesem einzustehen gilt (Küper, 2022). Im Vortrag wird die traditionstheoretische Perspektive anhand einer gesprächsanalytisch ausgewerteten Szene aus einem Unterrichtsnachgespräch, das im Rahmen eines Unterrichtsbesuches im Referendariat stattgefunden hat, illustriert. Anschließend wird unter Bezug auf die Beispielszene reflektiert, wie Ausbilder:innen in einer traditionstheoretischen Perspektivierung der Lehrer:innenbildung positioniert werden. Einen zentralen Stellenwert nehmen in der methodologischen Reflexion dabei die Fragen ein, ob traditionstheoretische Perspektivierungen der Lehrer:innenbildung notwendigerweise praxisaffirmativ sein müssen und welche Möglichkeiten der Kritik mit ihnen verbunden sind, ohne dabei in schlichte Defizitdiagnosen zurückzufallen.
Mit dem Vortrag „Das ‚Werden des Personals‘ als Subjektivierungsgeschehen“ von Nele Kuhlmann und Tobias Leonhard werden den im ersten Vortrag vorgestellten traditionstheoretischen Perspektivierungen der Lehrer:innenbildung adressierungstheoretische Perspektivierungen gegenübergestellt. Mit dem „elegante[n] Dreisprung“ (Wittpoth, 2023, S. 11) der Konzepte Subjektivierung, Anerkennung und Adressierung liegt mit dem adressierungsanalytischen Zugriff ein Ansatz einer „sozialtheoretischen Erziehungswissenschaft“ (Kuhlmann, Rose, Hilbrich, Bellmann & Reh, 2023) vor, dem es um das relationale Werden von Subjekten und der empirischen Beschreibung dieses Werdens geht. Folgende Fragen sind dabei in Hinblick auf das wissenschaftliche Personal der Lehrer:innenbildung leitend:
Um diese und andere Fragen zum ‚Werden‘ des Personals der Lehrer:innenbildung empirisch gehaltvoll zu bearbeiten, wird vorgeschlagen, an den Praktiken der Lehrpersonenbildung und in den Formaten teilzunehmen, die darauf abzielen, ‚Kompetenzen‘ für die Arbeit an Hochschulen der Lehrerpersonenbildung anzubahnen sowie diese Vollzugswirklichkeit als Anerkennungsgeschehen zu verstehen, in dem Lehrpersonenbildner:innen in bestimmter Weise subjektiviert werden. Im Vortrag werden die grundlegenden Ideen des erwähnten ‚Dreisprungs‘ skizziert, an einem Beispiel gezeigt, zu welchen Befunden eine solche Perspektivierung kommen kann und der theoretisch-methodologische Blick auf das Personal in Bezug auf die damit verbundene Positionierung als gleichermaßen ‚subjektivierte und sich subjektivierende Subjektivationsinstanzen‘ in den Institutionen der Lehrer:innenbildung bilanziert.
Während die ersten beiden Vorträge spezifische Theorieperspektiven zum Ausgangspunkt nehmen und deren Implikationen für die Positionierung des Personals der Lehrer:innenbildung herausarbeiten, fragt Christoph Kruse in seinem Vortrag „Zur Auswahl theoretischer Perspektiven auf Gutachten aus dem Vorbereitungsdienst. Implikationen für Erkenntnisse zur schriftlichen Beurteilungspraxis von Lehrer:innenbildner:innen“ anhand einer Analyse von Gutachtenzitaten nach der (Un-)Angemessenheit unterschiedlicher Theorieperspektiven. Der Beitrag basiert auf einer dokumentenanalytischen Grounded-Theory-Studie zur Beforschung von Gutachten aus dem Vorbereitungsdienst, in der verschiedene theoretische Perspektiven aufgegriffen werden: In systemtheoretischer Perspektive kommt das Technologiedefizit bei gleichzeitigem funktionalen Zwang zur Technologisierung des Handelns angehender Lehrkräfte als Thema schriftlicher Beurteilungen durch Lehrer:innenbildner:innen in den Blick. Eine konversationsanalytisch grundierte Variante der Dokumentenanalyse rückt sprachliche Techniken zur Absicherung des formulierten Urteils in den Gutachten in den Vordergrund. Eine professionalitätstheoretische Perspektive (z.B. Terhart, 2011) auf Beurteilungen von Lehrer:innenbildner:innen impliziert indes kaum weiterführende Enttäuschungsbefunde. Es scheint vielmehr eine steuerungstheoretische Perspektive auf Professionalität gewinnbringend, die die Lehrer:innenbildner:innen mit der leistungsstratifizierenden Entscheidung über den „Zugang zur Berufsgruppe und der beruflichen Tätigkeit“ (Schimank, 2014, S. 135) fokussiert. Angesichts der skizzierten Zusammenhänge gewinnt die begründete Auswahl von Theorieperspektiven an Bedeutung. Damit verbunden ist die Aufgabe, die (Un-)Angemessenheit der einzelnen Perspektiven unter Bezug auf das empirische Material zu diskutieren. Mit diesem Vorgehen sollen im Vortrag die Implikationen der theoretischen Zugriffe nicht nur für die Genese, sondern auch für die Bewertung ausgewählter Erkenntnisse zur Beurteilungspraxis von Lehrerbildner:innen veranschaulicht werden.
Die Beiträge werden übergreifend unter Bezug auf die für die Arbeitsgruppe leitende Fragestellung, inwiefern Theorien für die Positionierung des Personals der Lehrer:innenbildung durch die Forschung einen Unterschied machen, von Petra Herzmann kommentiert.
Literatur
Bellmann, J., Küper, J., Hans, K., & Thiel, C. (2021). Qualität als Tradierungsproblem. Eine Auseinandersetzung mit Forschungsperspektiven auf evaluative Praktiken in der Lehrer*innenbildung. Bildung und Erziehung, 74, 8–30.
Kuhlmann, N., Rose, N., Hilbrich, O., Bellmann, J., & Reh, S. (Hrsg.). (2023). Sozialtheoretische Erziehungswissenschaft. Konturen eines Theorie- und Forschungsprogramms. Weinheim: Beltz Juventa.
Kunze, K. (2014). Professionalisierungspotentiale und -probleme der sozialisatorischen Interaktion im Studienseminar. Zeitschrift für interpretative Schul- und Unterrichtsforschung, 3, 44–57.
Küper, J. (2022). Das Antworten verantworten. Zur (Re-)Konzeptualisierung praktischer pädagogischer Reflexion anhand von Unterrichtsnachgesprächen im Kontext der zweiten Phase der Lehrer:innenbildung. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
Schimank, U. (2014). Governance und Professionalisierung. In K. Maag Merki, R. Langer, & H. Altrichter (Hrsg), Educational Governance als Forschungsperspektive: Strategien. Methoden. Ansätze (127–150). Wiesbaden: Springer.
Terhart, E. (2011). Lehrerberuf und Professionalität: Gewandeltes Begriffsverständnis - neue Herausforderungen. Zeitschrift für Pädagogik, 57(57. Beiheft), 202–224.
Thompson, C., & Wrana, D. (2019). Zur Normativität erziehungswissenschaftlichen Wissens – drei Thesen. In W. Meseth, R. Casale, A. Tervooren, & J. Zirfas (Hrsg.), Normativität in der Erziehungswissenschaft (171–180). Wiesbaden: Springer VS.
Wittpoth, J. (2023). Darf’s ein bisschen mehr sein? Dimensionen des Sozialen in einer ‚sozialtheoretischen Erziehungswissenschaft‘. In N. Kuhlmann, N. Rose, O. Hilbrich, J. Bellmann, & S. Reh (Hrsg.), Sozialtheoretische Erziehungswissenschaft. Konturen eines Theorie- und Forschungsprogramms (109–121). Weinheim: Beltz Juventa.
Der Vortrag untersucht die Interaktionspraxis mündlicher Prüfungen im Kontext des bildungswissenschaftlichen Lehramtsstudiums vor dem Hintergrund der handlungslogisch-strukturtheoretischen Professionalisierungstheorie (Helsper 2021). Trotz ihrer seit der Bologna-Reform stark erhöhten Anzahl und der kaum zu überschätzenden Bedeutsamkeit, die ihnen lebensweltlich beigemessen wird, wurden Prüfungen als diejenigen institutionalisierten pädagogische Praxen, in denen sich primär die konstitutive Selektionsaufgabe des (Hochschul-)Bildungssystems vollzieht, bislang insgesamt wenig beforscht (Reh/Ricken 2017), insbesondere aber von der (erziehungswissenschaftlichen) Professionsforschung geradezu ignoriert (mit der Ausnahme: Herzmann/Liegmann 2020).
Im Rahmen der vorgestellten Untersuchung werden die Praxis des Prüfens und insbesondere das Handeln der Prüfenden unter dem Gesichtspunkt der (De-)Professionalisierung betrachtet. Professionalisierungsindikativ aus Sicht des strukturtheoretischen Ansatzes erscheint dabei weniger das ‚Was‘ – die Inhalte, der Prüfung – sondern das ‚Wie‘, genauer: die Art und Weise, wie die Prüfenden (und die Geprüften) die Prüfung als Praxis in Geltung setzen, welche impliziten Ansprüche darin sichtbar werden, und wie diese mit den Zugzwängen sozialer Interaktion vermittelt werden. Mündlichen Prüfungen bilden hierfür ein besonders ausdrucksstarkes Datenmaterial, insofern die Prüfenden bei dieser Prüfungsform in eine direkte Interaktion mit den Geprüften treten. Die Datenbasis der präsentierten Untersuchung bilden folglich transkribierte Protokolle von Prüfungsgesprächen im Rahmen des Lehramtsstudiums in den Fächern Erziehungswissenschaft/Pädagogik sowie Deutschdidaktik. Die Protokolle werden sequenzanalytisch mithilfe der Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik (Franzmann et al. 2022) untersucht.
Erste Befunde deuten darauf hin, dass zwei Herausforderungen bezüglich der Prüfungspraxis prägend sind: Erstens sind mündliche Prüfungen disziplinübergreifend durch eine außeralltägliche ‚Intensität‘ (Tyagunova 2021) gekennzeichnet. Sie tragen geradezu zeremonielle Züge (vgl. Plessner 1924/2002). Darin, diese strenge Form weder zu unterlaufen noch zu überdehnen, scheint ein Handlungsproblem auch und gerade für die Prüfenden zu liegen. Empirisch zu beobachten sind Dynamiken der scheinbaren Entschärfung und zugleich latenten Überspannung des Prüfungsgeschehens. Zweitens sind Prüfungen im Rahmen bildungswissenschaftlicher Lehrveranstaltungen mit dem disziplinären Anspruch belegt, nicht nur das deklaratives Wissen der Prüfungskandidat:innen zu testen (vgl. Benner 2018: 114-116). Wie auch in anderen diskursiven Disziplinen, stehen die Prüfungen unter dem Anspruch, ein Fachgespräch zu sein, in dem sich auch eine fachliche Identität bei den Teilnehmenden zeigen soll (vgl. Herzmann/Liegmann 2020). Diese Herausforderung wird im Fall des bildungswissenschaftlichen Lehramtsstudiums noch dadurch verschärft, dass diese Disziplinen mit dem von ihnen nicht einzulösenden Anspruch der unmittelbaren berufspraktischen Adressierung und Qualifizierung der Lehramtsstudierenden belastet sind (König 2021).
Literatur
Benner, D. (2018). Über drei Arten von Kausalität in Erziehungs- und Bildungsprozessen und ihre Bedeutung für Didaktik, Unterrichtsforschung und empirische Bildungsforschung. Zeitschrift für Pädagogik 64 (1), 107-120.
Franzmann, M./Rychner, M./Scheid, C./Twardella. J. (2022). Objektive Hermeneutik. Handbuch zur Methodik in ihren Anwendungsfeldern. Stuttgart: Barbara Budrich.
Helsper, W. (2021). Professionalität und Professionalisierung pädagogischen Handelns: Eine Einführung. Stuttgart: utb.
Herzmann, P./Liegmann, A. (2020). Mündliche Prüfungen im Kontext des Forschenden Lernens. (Re-)Adressierungen als Inszenierung studentischer Expertise. Zeitschrift für Pädagogik 66 (5), 727-745.
König, H. (2021). Unpraktische Pädagogik. Untersuchungen zur Theorie und Praxis erziehungswissenschaftlicher Lehre. Wiesbaden: Springer VS.
Plessner, H. (1924/2002). Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Reh, S./Ricken, N. (2017). Prüfungen - systematische Perspektiven der Geschichte einer pädagogischen Praxis. Einführung in den Thementeil. Zeitschrift für Pädagogik 63 (3), 247-258.
Tyagunova, T. (2021). Prüfungskompetenz: Interaktive Steuerung von Wissensdarstellungen in mündlichen Universitätsprüfungen. Sozialer Sinn 22 (1), 185-221.
Rückblickend erscheint die Jahrtausendwende immer deutlicher als Zäsur durch die Reformen im Kontext des Bologna-Prozesses, die parallel zur Standardisierung (KMK 2004) als Reaktion auf den PISA-Schock zu tiefgreifenden Veränderungen in der Lehrer:innenbildung führten. Mit dem „Ende der Beliebigkeit“ (Terhart 2000, S. 16) haben seitdem die Bildungswissenschaften als neues „disziplinäre[s] Feld [...] die Pädagogik als wissenschaftliche Bezugsdisziplin“ bei der universitären Lehrer:innenbildung ersetzt (Casale 2021, S. 216). Etwa zwei Jahrzehnte später stellen wir in der Arbeitsgruppe die Frage, wie die ‚erwachsenen‘ Bildungswissenschaften gegenwärtig aufgestellt sind.
Die Etablierung der Bildungswissenschaften ist (neben dem institutionellen Ausbau der Fachdidaktiken und der Schulpraktika) in der Ersten Phase der Lehrer:innenbildung Ausdruck einer veränderten Balance zwischen Wissenschafts- und Berufsorientierung, aus der sukzessiv die Professionsforschung als neue Bezugsdisziplin hervorzugehen scheint. Dabei verloren die Erziehungswissenschaft und die Schulpädagogik ihre Hauptzuständigkeit für das (ehemalige) Begleitstudium in den Lehramtsstudiengängen und bilden mittlerweile nur noch eine von mehreren Disziplinen der interdisziplinären Bildungswissenschaften, zu der auch die Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie gehören (Radhoff & Ruberg 2016; Terhart 2012; Casale 2021). Einen weiteren Kulminationspunkt in der Entwicklung zwischen Disziplin und Profession stellt die Kontroverse über das sogenannte Schulpraxiserfordernis dar, das zwar 2004 aus dem Hochschulrahmengesetz gestrichen wurde, in vielen Landeshochschulgesetzen jedoch erhalten blieb.
Die Kombination der Interdisziplinarität und solcher bildungspolitischer Vorgaben legt nahe, dass sich diese sowohl in den Karrierewegen des bildungswissenschaftlichen Personals als auch in dessen Professionsverständnissen widerspiegeln.
Berichtet werden Befunde aus einer Erhebung zu Karrierewegen von Wissenschaftler:innen, die in den Bildungswissenschaften lehren. Explorativ wurden dazu alle Standorte der lehrpersonenbildenden Universitäten in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Saarland und Niedersachsen erfasst. Das Analyseziel liegt darin, Muster sowohl hinsichtlich der Sozialisationserfahrungen des akademischen Personals als auch der universitären Standorte hinsichtlich der Zusammensetzung des bildungswissenschaftlichen Personals zu rekrutieren.
Diese Muster stellen den Ausgangspunkt für die Rekonstruktion der berufsbiografischen Professionalisierung im Vergleich von typischen und untypischen Karrierewegen. Uns interessiert vor allem, wie die Bildungswissenschaftler:innen ihr professionelles Selbstverständnis bezogen auf ihre Lehr- und Forschungsaufgaben in der Lehrer:innenbildung interpretieren. Dazu werden Ergebnisse einer Analyse narrativer Interviews (Schütze 1983) vorgestellt, die auf einer aus berufsbiografischen Ansätzen der Professionsforschung (Wittek & Jacob 2020) abgeleiteten Heuristik beruhen.
Literatur
Casale, R. (2021). Die Entpädagogisierung der Lehrerbildung in der Bundesrepublik und die Entstehung der Bildungswissenschaft als Leitdisziplin in den 1990er Jahren. In R. Casale, J. Windheuser, M. Ferrari & M. Morandi (Hrsg.), Kulturen der Lehrerbildung in der Sekundarstufe in Italien und Deutschland (S. 212–224). Klinkhardt.
Kiehne, B. (2015). Die Biografie lehrt mit. Eine qualitative Untersuchung zum Zusammenhang von Lernbiografie und Lehrüberzeugungen bei Nachwuchslehrenden. Waxmann.
KMK (2004). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16.12.2004.
Kotthoff, H.-G. & Terhart, E. (2013). New solutions to old Problems? Revista Española de Educación Comparada, 22, 73–92.
Kuckartz, U. (2016). Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Beltz Juventa.
Meuser, M., & Nagel, U. (1991). ExpertInneninterviews - vielfach erprobt, wenig bedacht: ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. In D. Garz & K. Kraimer (Hrsg.), Qualitativ-empirische Sozialforschung: Konzepte, Methoden, Analysen (S. 441–471). Westdt. Verlag.
Radhoff, M., & Ruberg, C. (2016). Die Lehramtsausbildung. In H.-C. Koller, H. Faulstich-Wieland, H. Weishaupt, & I. Züchner (Hrsg.), Datenreport Erziehungswissenschaft 2016 (S. 41–57). Barbara Budrich.
Schütze, Fritz, 1983. Biographieforschung und narratives Interview. In: neue praxis. 13(3), S. 283–296.
Seel, N. M., & Zierer, K. (2018). Den „guten“ Unterricht im Blick. Oder: Warum die Allgemeine Didaktik unersetzlich ist. Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung, S. 378–389.
Terhart, E. (2000). Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland. Beltz.
Terhart, E. (2005). Zentren für Lehrerbildung: systematische Probleme, institutionelle Widersprüche, praktische Schwierigkeiten. In H. Merkens (Hrsg.), Lehrerbildung: Zentren für Lehrerbildung (S. 15–31). VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Terhart, E. (2012). „Bildungswissenschaften“. Verlegenheitslösung, Sammeldisziplin, Kampfbegriff? Zeitschrift für Pädagogik, 58(1), 22–39.
Wittek, D. & Jacob, C. (2020). (Berufs-)biografischer Ansatz in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In: C. Cramer, J. König, M. Rothland & S. Blömeke (Hrsg.): Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 196–203). Klinkhardt.
Die Arbeitsgruppe Teacher Educators as Professionals (TEaP) hat sich 2015 konstituiert und besteht aus Professor:innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen der schulfremdsprachlichen Fachdidaktiken. Die Gruppe arbeitet autoethnografisch im Sinne der community autoethnography (vgl. Toyosaki et al. 2009) und trifft sich als community of practice in regelmäßigen Abständen. Erkenntnisinteresse ist die Identifikation von sowie die Auseinandersetzung mit (möglicherweise) spezifischen Elementen professioneller Identität und Rollen universitärer Lehrerbildner:innen (vgl. Kraler 2015) der fremdsprachlichen Fächer (vgl. Barkhuizen 2021) in strukturtheoretischer und biografischer Orientierung (vgl. Terhart 2011). Aktuell werden Forschungsdesiderate im Bereich biografischer Zugriffe (z.B. Terhart 2021; Wolf et al. 2021: 26) und entsprechender Empirie formuliert, welche die fachdisziplinäre Gewordenheit und deren Bedeutsamkeit für die lehrkräftebildnerische Praxis ins Blickfeld rückt. Eine Forschungslücke besteht hier generell für nicht-naturwissenschaftliche Domänen und für die (fremd-)sprachlichen Fächer im Besonderen. Auf diese Desiderate können die Arbeiten von TEaP produktiv reagieren: Fachlichkeit und Biografie bildeten von Beginn an das zentrale Erkenntnisinteresse. Die in der Arbeit der Gruppe entstandenen empirischen Materialien können dazu beitragen, wiederholt aufgeworfene Fragen nach den Unterschieden der im Feld Agierenden nach Fächern oder Lehrtypen sowie der Verwobenheit von Biografie und Disziplin (vgl. Wolf et al. 2021: 6) auszudifferenzieren. Die empirischen Materialien von TEaP sind dem Ansatz entsprechend autobiografische Essays, die entlang von Leitfragen aus einem Entwurf für Entwicklungsaufgaben des Lehrberufs (Hericks & Kunze 2002) formuliert wurden. Die Texte wurden in Kleingruppen kommentiert, weitergeschrieben und kodierend interpretativ ausgewertet. Dabei verdichteten sich in unseren Aushandlungen machtkritische Perspektiven als zentrale Lesart. Weitere Texte wurden in Diskussionen und Arbeitsgruppentreffen als Poster (Breidbach & Schultze o.J.) und in Tagungsbeträgen produziert (Abendroth-Timmer et al. 2022 und 2022a). Das Erzählcafé soll Gelegenheit bieten, über Biografien von Lehrkräftebildner:innen ins Gespräch zu kommen und die Arbeit von TEaP weiter und neu – auch interdisziplinär – zu perspektivieren. Vorschlagen möchten wir dafür folgende Struktur: Nach einer kurzen Präsentation des Anliegens, der Genese sowie des forschungsmethodologischen Ansatzes der Arbeitsgruppe kommentieren die Teilnehmenden von TEaP ausgewählte Vignetten aus der Empirie des Projekts in rückblickender Perspektive und reflektieren eigene Veränderungen, die im Kontext der inzwischen langjährigen Arbeit beobachtet wurden. Problematisiert wird dabei die Schwierigkeit der biografischen ‚Rückschau‘ auf einen Prozess, der durch die Arbeit in TEaP unmittelbar beeinflusst war. In forschungsmethodischer Hinsicht interessiert uns die Frage der Repräsentation unserer Diskussionsverläufe und Ergebnisse in wissenschaftlichen Texten. Wir fragen, wie die Vielstimmigkeit repräsentiert werden kann, ohne sie durch eine – durch unsere eigene Beteiligtheit unmögliche – Metasicht oder eine ‚allwissende Erzählstimme‘ zu nivellieren. Dies ist verbunden mit dem von Wilkesmann (2016: 39f.) im Kontext der Hochschulforschung beobachteten Problem der Selbstobjektivierung zum einen und zum anderen mit der Frage nach Möglichkeiten der Verschriftlichung empirischen Materials, das zudem nicht immer „datenförmig“ (Breidenstein et al. 2015: 115) vorliegt, also Erfahrungs- und Prozesscharakter aufweist, mündlich und flüchtig ist. Im Zentrum steht der Versuch, Verbindendes zwischen den Mitgliedern der Arbeitsgruppe zu abstrahieren und gleichzeitig Unterschiede von Akteur:innen eines Feldes, das zunächst homogen erscheint, zu beschreiben. In diesem Sinne setzen wir uns zentral mit der Fachlichkeit auseinander: diese „rahmt“ uns einerseits vor allem institutionell, andererseits wird sie jedoch in hohem Maße unterschiedlich – eben durch vielfältige fachdisziplinäre Einsozialisierungen (vgl. Terhart 2021: 27) – rekonstruiert. Unser Anliegen ist die Diskussion um die innere Heterogenität und die hier wirksamen Differenzlinien innerhalb einer Gruppe von Lehrkräftebildner:innen, deren Mitglieder sich der Critical language teacher education zugehörig fühlen (vgl. Akbari 2008; Bonnet/Hericks 2020), sich in machtkritischer Haltung, anti-szientistischem Wissenschaftsbegriff sowie Differenzsensibilität ähneln und ähnliche Fragen an sich stellen wie sie Terhart (2021: 31) mit seiner Skizze eines neuen Typus von Lehrerbildner:innen umreißt. Die am Erzählcafé Teilnehmenden sind eingeladen, sich an der Diskussion zu beteiligen und auch eigene Vignetten – in mündlicher oder schriftlicher Form – mitzubringen, denen sie selbst eine Bedeutung für ihre Identität oder Rolle(n) als Lehrkräftebildner:innen beimessen. Dabei interessieren wir uns für Perspektivierungen weiterer Akteur:innen des Feldes (vgl. Schrittesser 2020: 844), beispielsweise der zweiten Phase, der Schulpraxis oder behördlicher Institutionen, sowie für die Perspektive universitärer Kolleg:innen anderer Fächer und Disziplinen.
Literatur Abendroth-Timmer, D. et al. (2022): „Professionalität von universitären Lehrkräftebildner:innen als fachdisziplinärer Entwicklungsbereich“. In: Wilden, E. et al. (Hrsg.): Standortbestimmungen in der Fremdsprachenforschung. Hohengehren/Bielefeld: Schneider bei wbv, 327-31. Abendroth-Timmer, D. et al. (2022a): „Kollaborative Biografiearbeit in der Lehrkräftebildung: Implikationen eines Forschungsprojekts von Lehrkräftebildner.innen für die universitäre fremdsprachendidaktische Lehre.“ Tagungsbeitrag zur Professionstagung an der Bergischen Universität Wuppertal am 13. September 2022. Akbari, R. (2008): Transforming lives: introducing critical pedagogy into ELT classrooms. ELT Journal 62(3), S. 276-283. Barkhuizen, G. (2021): Language Teacher Educator Identity. Cambridge: CUP Bonnet, A./Hericks, U. (2020): „Fremdsprachendidaktik pädagogisch denken – oder: Was ein Staatsanwalt mit Englischunterricht zu tun hat.“ In: Gerlach, D. (Hrsg.). Kritische Fremdsprachendidaktik: Grundlagen, Ziele, Beispiele. Tübingen: Narr, 165–180. Breidenstein, G.; Hirschauer, S.; Kalthoff, H. & Nieswand, B. (2015): Ethnographie. Die Praxis der Feldforschung (2. Aufl.). Konstanz, München: UTB. Ellis, C. et al. (2010): „Autoethnografie“. In: G. Mey/ K. Mruck (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Wiesbaden: VS, 345-357. Hericks, U./Kunze, I. (2002): „Entwicklungsaufgaben von Lehramtsstudierenden, Referendaren und Berufseinsteigern. Ein Beitrag zur Professionalisierungsforschung“, Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 5(3), 401-416. doi:10.1007/s11618-002-0058-y. Kraler, C. (2015). Wer bin ich? Zur Berufsbiografie von „LehrerbildnerInnen“. Journal für LehrerInnenbildung 15(2), 22-32. Schrittesser, I. (2020). Qualifikationswege Dozierender in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In: C. Cramer, J. König, M. Rothland & S. Blömeke (Hrsg.): Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 843–850. https://doi.org/10.35468/hblb2020-104 Breidbach, S. & Schultze, K. (o.J.): “Teacher Educators as Professionals”. Netzwerk fremdsprachliche Lehrer_innenbildung (NfLB). https://fremdsprachlichelehrerbildung.org/teacher-educators-as-professionals-teap/ Terhart, E. (2011): Lehrerberuf und Professionalität. Gewandeltes Begriffsverständnis – neue Herausforderungen. In: W. Helsper et al. (Hrsg.): Pädagogische Professionalität. Weinheim: Beltz, 202-224. Terhart, E. (2021): „Lehrerbildner“ – auf der Suche nach einer verlorenen Profession: Allgemeines und Persönliches. PraxisForschungLehrer:innenBildung. Zeitschrift für Schul- und Professionsentwicklung 3(5), 26-37. https://doi.org/10.11576/pflb-4775 Toyosaki, S. et al. (2009). “Community Autoethnography: Compiling the Personal and Resituating Whiteness.” Cultural Studies ↔ Critical Methodologies 9:1, February 2009: 56-83. Wilkesmann, U. (2019): Methoden der Hochschulforschung. Eine methodische, erkenntnis- und organisationstheoretische Einführung. Weinheim: Beltz Juventa. Wolf, E., Schwier, V., Schweitzer, J., Goerigk, P., & Bekemeier, K. (2021): Selbstdeutung, Positionierung & Rollenfindung: Zum Selbst in der universitären Lehrer:innenbildung. Eine Einleitung in das Thema, editorische Notizen und Lesehinweise. PraxisForschungLehrer:innenBildung 3(5), 1–7. https://doi.org/10.11576/pflb-4840
Mit Schulentwicklungsprozessen wird die Annahme verbunden, dass diese „Reflexionsanlässe für die Akteur*innen bereithalten und auf diese Weise zur Professionalisierung von Lehrkräften beitragen können“ (Idel et al. 2022, S. 226). Hierbei sind Schulentwicklungsberatende dazu angehalten, in ein relationales Aushandlungsgeschehen mit den schulischen Akteur:innen zu treten und mit ihnen in ihren Veränderungsaktivitäten etwa im Rahmen von Steuergruppen, pä-dagogischen Tagen oder der Anleitung von Teamprozessen umzugehen (Dedering et al. 2022). Das Beratungssetting als solches ist auf besondere Weise mit der Erwartung reflexiven Spre-chens verbunden (Lill 2024, i.E.), programmatisch können Schulentwicklungsberatende dem-nach als „Reflexionsprofessionelle“ verstanden werden (Helsper 2014). Es wird davon ausge-gangen, dass Schulentwicklungshandeln ein für Lehrkräfte relevantes Handlungsfeld darstellt und Schulentwicklungsberatende Lehrkräften darin Orientierung verschaffen können. Der Bei-trag verfolgt damit die These, dass Schulentwicklungsberater:innen zu Leh-rer:innenbildner:innen im Bereich des Handlungsfeldes Schulentwicklung werden, durch Prak-tiken der Beratung dazu beitragen, dass schulische Akteur:innen sich selbst als professionelle Schulentwickler:innen erlernen (Schratz 2014) und in diesem Sinne ihr organisationsbezogenes Handeln professionalisieren können.
Im Beitrag wird hierzu zunächst darauf fokussiert, dass die Beratung innerhalb des Handlungs-felds der Schulentwicklung auf das Bezugsproblem der Aushandlung von professioneller Au-tonomie und kollegialer Verbindlichkeit verweist (Pauling 2024). Aus einer subjektivierungs-theoretischen Perspektive wird sodann danach gefragt, wie dies geschieht und als wer sich Schulentwicklungsberatende im gemeinsamen Tun mit den Lehrkräften in der Verhandlung des Bezugsproblems hervorbringen und im Adressierungsgeschehen hervorgebracht werden (Rich-ter & Langer 2021). Zur Beantwortung der Frage wird auf Datenmaterial aus zwei ethnogra-phisch angelegten Studien zurückgegriffen.
Literatur
Dedering, K., Kamarianakis, E. & Racherbäumer, K. (2022): Schulentwicklungsberatung. Be-grifflich-konzeptionelle Grundlegung, empirische Betrachtung und (kritische) Perspektivierung. In: DDS 114/4, 345–362.
Helsper, W. (2014): Überlegungen zu einer Theorie kultureller Transformation. Ein blinder Fleck in Kulturtheorien zu Schule und Unterricht? In: Thompson, C.; Jergus, K. & Breidenstein, G.: Interferenzen. Perspektiven kulturwissenschaftlicher Bildungsforschung. Weilerswist: Vel-brück Wissenschaft, S. 199–242.
Idel, T.-S.; Pauling, S.; Hinrichsen, M.; Hummrich, M.; Moldenhauer, A.; Asbrand, B. & Mar-tens, M. (2022): Reflexion und Reflexivität in Prozessen der Schulentwicklung. In: Reintjes, C. & Kunze, I.: Reflexion und Reflexivität in Unterricht, Schule und Lehrer:innenbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 226-241.
Lill 2024, i.E.: Möglichkeitsbedingungen reflexiven Sprechens – Positionierungsgeschehen in einer Schulentwicklungsberatung. In: Bauer & Schmidt: Die eigene Praxis in den Blick neh-men?! Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Pauling, S. (2024): Ungewissheit und Konvergenz in der Schulentwicklung. Eine Deutungs-musteranalyse an PRIMUS-Schulen. Wiesbaden: Springer VS.
Richter, S. & Langer, A. (2021): Im Namen der Gerechtigkeit? Ungerechtigkeitsthematisierun-gen von Schüler*innen als Positionierungen. In: ZfBildungsforschung 11, S. 137–153.
Schratz, M. (2014): Lehrerbildner/in: „Die unsichtbare Profession“ aus internationaler Perspek-tive. ILS-Mail 14 (1) 8-1.
Das lehrer:innenbildende Personal in der Sonderpädagogik ist in den letzten Jahren mit unterschiedlichen Veränderungen und Herausforderungen im Zusammenhang mit inklusiver Bildung an Schulen und in der Lehrer:innenbildung – hier eingegrenzt als Ausbildungsgegenstand – konfrontiert. Sonderpädagogische Professuren werden ausgebaut und auf Inklusion profiliert (Gerecht et al., 2020). Damit einher gehen strukturelle, curriculare und inhaltliche Veränderungen sowohl in den Studiengängen als auch in der hochschulischen Lehre (Budde, Hackbarth & Tervooren, 2023). Gleichzeitig wird eine ‚Sonderpädagogisierung‘ der Inklusion kritisiert, wenn die Verantwortung für Inklusion an die Sonderpädagogik delegiert und der Diskurs auf Behinderung verengt wird und dadurch die kategoriale Trennung von Sonder-/Inklusionspädagogik auf der einen und Allgemeiner Pädagogik auf der anderen Seite erhalten bleibt (Blasse et al., 2023).
Die Perspektive auf diese Entwicklungen des lehrer:innenbildenden Personals im Feld einer sich an Inklusion orientierenden Sonderpädagogik ist bislang wenig erforscht. Der vorliegende Beitrag knüpft hieran an und entwirft zunächst ein (berufs-)biografisches Professionalisierungsverständnis (Fabel-Lamla, 2018; Hericks, 2006). Darin können die beschriebenen disziplinären Entwicklungen und Veränderungen als berufliche Anforderungen betrachtet werden, wobei wenig darüber bekannt ist, wie sich diese als Entwicklungsziele im Professionalisierungsprozess der Akteur:innen in der Lehrer:innenbildung niederschlagen. Die übergreifende Fragestellung ist, wie Einzelne aufgrund ihrer bisherigen (berufs-)biografischen Erfahrungen die disziplinären Veränderungen deuten und welche Konsequenzen dies auf professionelle Orientierungs- und Handlungsmuster vor allem bzgl. hoch-schulischer Lehre hat. Das empirische Vorgehen erfolgt zweischrittig. Als Erstes stellt sich die Frage nach den unterschiedlichen berufsbiografischen Hintergründen des lehrer:innenbildenden Personals an sonderpädagogischen Studienstätten, von denen ausgegangen wird, dass sie als Vorerfahrungen die Wahrnehmung der jüngsten Entwicklung strukturieren. Dazu wurden auf Websites exemplarisch ausgewählter Hochschulen veröffentlichte Lebensläufe zusammengestellt und inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen die Heterogenität berufsbiografischer Hintergründe, die entsprechend gruppiert in eine erste Systematisierung des Feldes überführt werden. Hierauf liegt der Schwerpunkt des Beitrags.
Im zweiten Schritt sollen narrative Interviews zu (berufs-)biografischen Erfahrungen mit exemplarisch ausgewählten Vertreter:innen unterschiedlicher Gruppierungen des Feldes geführt und dokumentarisch ausgewertet werden, um die Frage nach den individuellen Verarbeitungsweisen im Rahmen (berufs-)biografischer Sinngebung zu beantworten. Hier können voraussichtlich erste Fälle den Beitrag flankieren.
Abschließend werden Konsequenzen und weiterführende Fragen an der Schnittstelle inklusionsorientierter Lehrer:innenbildung, Professionalisierungs- und bildungsbezogener Hochschulforschung diskutiert.
Literatur:
Blasse, N., Budde, J., Köpfer, A., Rosen, L., & Schneider, E. (2023). Verankerung von Inklusion in der Lehrkräftebildung. Erziehungswissenschaft, 34(67), S. 63-71.
Budde, J., Hackbarth, A., & Tervooren, A. (2023). Inklusion als unverzichtbarer Bestandteil erziehungswissenschaftlicher Lehre. Diskussionspapier der Arbeitsgruppe Inklusionsforschung, Erziehungswissenschaft, 66(1), S. 105-114. https://doi.org/10.3224/ezw.v34i1.12
Fabel-Lamla, M. (2018). Der (berufs-)biografische Professionsansatz zum Lehrerberuf. In J. Böhme, C. Cramer & C. Bressler (Hrsg.), Erziehungswissenschaft und Lehrerbildung im Widerstreit!?: Verhältnisbestimmungen, Herausforderungen und Perspektiven (S. 82-100). Klinkhardt.
Gerecht, M., Krüger, H.-H., Sauerwein, M., & Schultheiß, J. (2020). Personal. In H. J. Abs, H. Kuper & R. Martini (Hrsg.), Datenreport Erziehungswissenschaft 2020 (S. 115-146). Budrich.
Hericks, U. (2006). Professionalisierung als Entwicklungsaufgabe: Rekonstruktionen zur Berufseingangsphase von Lehrerinnen und Lehrern. Studien zur Bildungsgangforschung (Bd. 8). VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Spezifische Fragestellungen und Inhalte
Für pädagogische Berufe formuliert schon Siegfried Bernfeld in den 1920er-Jahren eine prägnante Besonderheit pädagogischen Handelns: “So steht der Erzieher vor zwei Kindern: dem zu erziehenden vor ihm und dem verdrängten in ihm” (Bernfeld, 1971, 141). Gudjons schlussfolgert daraus, dass das eigene “Gewordensein” von Pädagog:innen einer Reflexion bedarf, um Handlungsmuster, Wertvorstellungen, Ablehnungstenzenden usf. zu erkennen und diese nicht unbewusst auf das Gegenüber zu übertragen (vgl. Gudjons, 2020, 26.). So verdeutlichen biographisch ausgerichtete Studien, dass Sicht- und Betrachtungsweisen von Lehrkräften von deren eigenen biographischen Erfahrungen beeinflusst werden (Kunze, 2011; Neuß, 2009). Mit Blick auf Professionalisierungsprozesse und professionelles Handeln (angehender) Lehrer:innen rückt so in den letzten Jahren die Bedeutung der (Gesamt-)Biographie als Professionalisierungsressource verstärkt in den Fokus (bspw. Epp, 2022; Junge, 2020). Empirische Befunde zur biografischen Arbeit am eigenen So-Gewordensein verdeutlichen zudem, dass diese selbstreflexive Kompetenz grundlegend für die Entwicklung professioneller Reflexivität im Lehrberuf ist (bspw. Epp, 2022; Hörnlein, 2020). Diese Erkenntnisse verweisen darauf, dass die seminaristisch eingebundene und methodisch angeleitete Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie bedeutsam für die Anbahnung von Professionalisierungsprozessen Lehrender ist.
Unter dieser Prämisse zur Spezifik des Berufsfeldes kann angenommen werden, dass biographische Erfahrungen Lehrender in der Lehrer:innenbildung ebenso von Bedeutung für deren (professionelles) Handeln sind. Eine solche Diskussion und die daran anknüpfende empirische Erschließung der Gesamtbiographien dieser Akteur:innengruppe und deren Bedeutung für die Praxis der Lehrer:innenbildung bleibt bislang fast vollständig aus (vgl. Nölle & Czerwenka, 2014, 471). Dies verwundert umso mehr, da davon auszugehen ist, dass der Personenkreis der Hochschullehrenden in der Lehrer:innenbildung im besonderen Maße Einfluss auf die Bildungs- und Berufsbiographien der Adressat:innen und somit auch auf deren Professionalisierungsressourcen hat.
Die Notwendigkeit einer verstärkten wissenschaftlichen Thematisierung dieses Aspektes der Lehrer:innenbildung wird vor dem Hintergrund aktueller bildungspolitischer Herausforderungen und Veränderungen im Schulsystem nochmals unterstrichen. So wird beispielsweise gegenwärtig, in Reaktion auf den akuten Lehrkräftemangel, eine Ausdifferenzierung der Zugangswege zum Lehrberuf vollzogen, was die Heterogenität von (Berufs)Biographien steigert. Hinzu kommt als weitere Facette die Diversität von Berufswegen des lehrer:innenbildenden Personals, etwa mit Blick auf die an der universitären Lehrer:innenbildung beteiligten Fächer (z.B. Psychologie, Schulpädagogik, Fachdidaktiken, Fachwissenschaften). Auch sind deren Zugangswege in die Lehrtätigkeit strukturell bedingt sehr heterogen - etwa über ein vorheriges Studium mit oder ohne Lehramtsbezug, einen zuvor absolvierten Vorbereitungsdienst oder eine Tätigkeit in der schulischen oder einer anderen pädagogischen Praxis, eine abgeschlossene Promotion oder Habilitation. Die Vielfalt dieser Berufswege steigert sich nochmals durch die unterschiedlichen Voraussetzungen für eine Lehrtätigkeit im Rahmen der zweiten und dritten Phase der Lehrer:innenbildung. Die Fähigkeit zur biographischen Selbstreflexion ist seit 2004 in den KMK-Standards für die Lehrerbildung (Bildungswissenschaften) verankert und soll über “die Analyse und Reflexion der eigenen biographischen Lernerfahrungen mit Hilfe der theoretischen Konzepte” (KMK 2004/2019) im Studium umgesetzt werden. Diejenigen, die diese Reflexionen anleiten (sollen), sind die Lehrerbildner:innen, die ihrerseits eben auch eigene (gesamt)biographische Erfahrungen mitbringen.
Aus dieser Perspektive auf das professionelle Handeln von Akteur:innen der Lehrer:innenbildung ergeben sich vielfältige Fragestellungen, wie beispielsweise: Welche biographischen Entwicklungsverläufe von Akteur:innen der Lehrer:innenbildung gibt es? Welche Bedeutung hat die eigene Biographie für professionelles Handeln und für das professionelle Selbstverständnis? Welche Bedeutung hat die Reflexion des eigenen Gewordenseins durch Dozierende für ihr professionelles berufliches Handeln und inwiefern reflektieren Dozierende dies bereits? Als didaktische Frage soll weiterhin angeführt werden, wie eine solche Reflexion methodengeleitet angebahnt werden kann?
Geplantes Format
Der Fokus dieses Offenen Formats liegt aus den genannten Gründen auf den Dozierenden und ihrem Selbstverständnis als Lehrerbildner:innen. Dem skizzierten Desiderat wollen wir uns mit einem offenen Format explorativ annähern. Hierzu werden Tagungsteilnehmende eingeladen, das eigene biographische Gewordensein gemeinsam und methodengeleitet zu reflektieren und auf dieser Grundlage über die o.g. Fragen zu diskutieren. Das Angebot soll angesichts der Notwendigkeit einer gewissen Offenheit der Teilnehmenden, eigene Erfahrungen zu teilen, mit einer begrenzten Teilnehmerzahl (maximal. 20) durchgeführt werden und gliedert sich wie folgt:
1.Vorstellungsrunde
2.Thematische Einführung,Besprechung des Ablaufs und wesentlicher Regeln der Zusammenarbeit (Respekt, Vertraulichkeit, Freiwilligkeit)
3.methodischer Impuls zur individuellen Reflexion des ‘professionellen Gewordenseins’ und der berufsbiographischen Entwicklung
4.Austausch über die Erkenntnisse in Kleingruppen
5.Austausch und Diskussion der Erfahrungen und Erkenntnisse in der Großgruppe, z.B. vor dem Hintergrund folgender Fragestellungen:
-In welchem Spannungsfeld zwischen Forscher/in und Lehrerbildner/in kann man die eigene Rolle beschreiben?
-Wie kann und sollte man sich in der professionellen Rolle als Dozierende selbst thematisieren?
-Welche Rolle spielt die eigene Erfahrung für die Lehre? Wie kann man themenunabhängig die eigene Betroffenheit reflektieren?
-Wie können die Erkenntnisse in professionstheoretische Wissensbestände einordnen werden?
-Welche Desiderata und Forschungsfragen können identifiziert werden?
6.Abschluss: Fazit und Ausblick, check-out,
Zielsetzung
Mit diesem offenen Format möchten wir uns zunächst explorativ der Bedeutsamkeit der eigenen Biographie im professionellen Handeln von Lehrerbildner:innen annähern und über eine Einladung zur (Selbst)Reflexion dieses Phänomen zum Thema machen. Zudem erhoffen wir uns aus der Diskussion mit Akteur:innen und Forschenden Denkanstöße für die Auseinandersetzung mit offenen (Forschungs)Fragen und deren Ausdifferenzierung. Ebenso ist es unser Anliegen eine Vernetzung der Teilnehmenden zur weiteren Diskussion und Auseinandersetzung mit diesem Thema zu ermöglichen.
Literatur
Bernfeld, S (1971).: Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung. Frankfurt/M.
Epp, A. (2022): Biografiearbeit im Rahmen von Supervision. Ungenutzte Potenziale für die Lehrer:innenbildung. In: Zeitschrift für Schul- und Professionsentwicklung, 4(3), S. 122-137.
Gudjons, H. et al. (2020): Auf meinen Spuren. Übungen zur Biografiearbeit. 8., unveränderte Auflage. München: Verlag Julius Klinkhardt.
Hörnlein, M. (2020): Professionalisierungsprozesse von Lehrerinnen und Lehrern. Biographische Arbeit als Schlüsselqualifikation. Wiesbaden: Springer.
Junge, A. (2020). Sonderpädagog:in werden: Auf dem Weg zu einer professionellen Haltung. Eine rekonstruktive Studie im Kontext inklusionsorientierte Lehrer:innenbildung. Verlag Julius Klinkhardt.
Kultusministerkonferenz (KMK). (2004/2019). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften. https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Standards-Lehrerbildung-Bildungswissenschaften.pdf
Kunze, K. (2011). Professionalisierung als biographisches Projekt. Professionelle Deutungsmuster und biographische Ressourcen von Waldorflehrerinnen und -lehrern. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Neuß, N. (2009). Biographisch bedeutsames Lernen. Empirische Studien über Lerngeschichten in der Lehrerbildung. Verlag Barbara Budrich.
Nölle, Karin; Czerwenka, Kurt (2014): Forschung zur ersten Phase der Lehrerbildung. In: Ewald Terhart, Hedda Bennewitz und Martin Rothland (Hg.): Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Münster, New York: Waxmann, S. 468–488.
Terhart, E. (2011). Lehrerberuf und Professionalität: Gewandeltes Begriffsverständnis – neue Herausforderungen. In W. Helsper & R. Tippelt (Hrsg.), Pädagogische Professionalität (Zeitschrift für Pädagogik, 57. Beiheft) (S. 202–224). Weinheim: Beltz.
Forschendes Lernen stellt in der universitären Lehrer:innenbildung verschiedene Anforderungen, die als anspruchsvoll und bisweilen widerläufig eingeschätzt werden können. So gilt es Bildungsansprüche mit Ansprüchen einer Qualifizierung ebenso zu vermitteln wie den Aufbau einer forschenden Haltung mit forschungs- und professionsbezogenen Kompetenzen (Huber & Reinmann 2019). Der Trend, Forschendes Lernen im Kontext verlängerter Praxisphasen wie Praxissemestern einzusetzen (Fichten & Weyland 2020), verlangt eine Relationierung von Wissenschaft und Schulpraxis verstärkt ein. Historisch betrachtet zeigen sich damit anders gelagerte Herausforderungen als bei der Einführung des hochschuldidaktischen Prinzips Ende der 1960er Jahre, als es in erster Linie um eine Förderung der Eigenständigkeit von Studierenden durch methodisch geleitete Erkenntnisgewinnung ging (BAK 1970). Es ist zu fragen, inwiefern eine solche Eigenständigkeit mit den heutigen modularisierten und durch Leistungsüberprüfung gekennzeichneten Lehramtsstudiengängen konfligiert und mit welchen weiteren Herausforderungen für die Gestaltung Forschenden Lernens derartige Rahmenbedingungen einhergehen.
Hochschuldozierende sind vor diesem Hintergrund gefordert, mit den offenen Fragen und Widersprüchen angemessen umzugehen. Professionstheoretisch betrachtet verweisen die Anforderungen auf Entscheidungssituationen, die teilweise durch die aus der Lehrerprofessionsforschung bekannten Antinomien pädagogischen Handelns (Helsper 2000) samt einer damit verbundenen Ungewissheit näher erklärt werden können – zu nennen sind insbesondere die Organisations-, die Autonomie- und die Sachantinomie. Angesichts dessen erstaunt es, dass bislang kaum Forschung zu Erfahrungen und Perspektivierungen von Hochschuldozierenden im Kontext Forschenden Lernens vorliegt (Ausnahme Schöning et al. 2018). Eine solche Forschung könnte jenseits hochschuldidaktischer Betrachtungen zum Lehren Forschenden Lernens (Reinmann 2020) empirische Erkenntnisse zur Praxis der Lehrer:innenbildung liefern, deren Reflexion eine Basis zur Konzeption eines auf Hochschuldozierende gerichteten professionstheoretischen Zugangs bietet.
Der Beitrag widmet sich diesem Desiderat, indem eine empirische Studie vorgestellt wird, in der Selbst- und Fremdbilder von Hochschuldozierenden rekonstruiert und miteinander verglichen wurden. Im Rahmen des DFG-Projektes „Rekonstruktive Längsschnittstudie zu Professionalisierungsprozessen im Kontext Forschenden Lernens: ein Standortvergleich“ (ReLieF, 2021-2024) wurden an zwei Universitäten zu zwei Zeitpunkten sechs Expert:inneninterviews mit Hochschuldozierenden im Bereich Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft geführt. Aus diesen lassen sich Rollenverständnisse rekonstruieren, die die Dozierenden mit ihrer Tätigkeit verbinden. Darüber hinaus wurden 15 Gruppendiskussionen mit Studierenden geführt. In diesen kommen die Studierenden selbstläufig auf ihre Wahrnehmung der Dozierenden in Kontexten forschenden Lernens zu sprechen.
Im Beitrag werden die mit der Dokumentarischen Methode (Bohnsack 2021) generierten Ergebnisse der Dozierenden- und Studierendenerhebung miteinander relationiert. Die Analysen zeigen erstens, dass bestimmte Selbstbilder der Hochschuldozierenden eine Entsprechung auf Seiten der Studierenden finden, insbesondere was das Rollenbild der Ermöglichung resp. Unterstützung des Forschens und Lernens betrifft. Dem gegenüber werden dann Kontraste deutlich, wenn die Studierenden die Dozierenden insbesondere im Kontext Praxissemester als diejenigen wahrnehmen, die für die Erfüllung universitärer Vorgaben einstehen. Während die Studierenden eine Solidarisierung durch jene Mentor:innen wahrnehmen, die sie an den Schulen im Praxissemester begleiten, erscheinen die Hochschuldozierenden bisweilen als die gemeinsamen Gegner.
Aufbauend auf den Interpretationsergebnissen wird diskutiert, inwiefern ausgewählte Konzepte zur Professionalität von (angehenden) Lehrpersonen auf Hochschuldozierende im Kontext Forschenden Lernens übertragen werden können. Dabei geraten Chancen und Limitationen des umgesetzten Forschungsdesigns ebenso in den Blick wie die Frage nach der Professionalisierung von Hochschuldozierenden und schulischen Mentor:innen – und was diese für die Professionalisierung von Lehramtsstudierenden bedeuten könnte.
Literatur:
BAK (= Bundesassistentenkonferenz) (1970). Forschendes Lernen — Wissenschaftliches Prüfen. Schriften der Bundesassistentenkonferenz 5. Bonn.
Bohnsack, R. (2021). Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden (10., über-arb. Aufl.). Opladen u. a.: Budrich/UTB.
Fichten, W. & Weyland, U. (2020). Forschendes Lernen in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In C. Cramer, J. König, M. Rothland & S. Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 673-680). Bad Heilbrunn: Klinkhardt/UTB.
Helsper, W. (2000). Antinomien des Lehrerhandelns und die Bedeutung der Fallrekonstruktion – Überlegungen zu einer Professionalisierung im Rahmen universitärer Lehrerausbildung. In E. Cloer, D. Klika & H. Kunert (Hrsg.), Welche Lehrer braucht das Land? Notwendige und mögliche Reformen der Lehrerbildung (S. 142-177). Weinheim & München: Juventa.
Huber, L. & Reinmann, G. (2019). Vom forschungsnahen zum forschenden Lernen an Hochschulen. Wege der Bildung durch Wissenschaft. Wiesbaden: Springer VS.
Reinmann, G. (2020). Forschungsnahes Lehren und Lernen an Hochschulen in der Denkfigur des didaktischen Dreiecks. In M. Brinkmann (Hrsg.), Forschendes Lernen. Pädagogische Studien zur Konjunktur eines hochschuldidaktischen Konzepts (S. 39-59). Wiesbaden: Springer VS.
Schöning, A., Brandhorst, A. & Goerigk, P. (2018). „Das ist im Rahmen“ – Das Wissen von fachdidaktischen Lehrenden über die Angemessenheit studentischer Forschung im Praxissemester. HLZ, 1, 193-210.
Aussagen zur Professionalisierung von Hochschullehrenden im Lehramtsstudium sind für die Professionsforschung bislang überraschend wenig ausgearbeitet worden (Schratz 2015, Schrittesser 2020; Bekemeier et al. 2021). Überraschend ist dieser Befund zum einen, da die Professionalisierung der bislang eher in den Blick geratenen Gruppe der Lehramtsstudierenden mit dieser in Relation und im Wechselspiel zu stehen scheint (Wittek 2023) und zum anderen, da es sich um eine vergleichsweise große Berufsgruppe von hoher gesellschaftlicher Relevanz im Kontext der Lehrer:innenbildung handelt (spezifisch für die Disziplin der Erziehungswissenschaft siehe Gerecht et al. 2020). Die berufliche Anforderungsstruktur ist komplex, die gesellschaftlichen Erwartungen sind hoch (Tremp & Weil 2015, Tremp 2015, Bekemeier et al. 2021) – umso überfälliger scheinen Beiträge, die Aussagen darüber treffen, anhand welcher Kategorien sich die Professionalität dieser „second order practioners“ (Cochran-Smith 2003) fassen lässt.
In den Beiträgen, die bisher konkret zu Hochschullehrenden (des Lehramts) entstanden sind, zeichnet sich ab, dass mit dieser beruflichen Rolle eine Nicht-Eindeutigkeit einhergeht, die von den Lehrenden unterschiedlich gerahmt und wahrgenommen werden kann. Dies zeigt sich an der Wahl der Forschungsgegenstände, die z.B. die Klärung differierender Interessensstrukturen (Mayr et al. 2015), die Identifikation beruflicher Rollen (Dengerink et al. 2015), Unterschiede in der Rollengestaltung (Weil 2020) oder Perspektiven auf Selbstdeutungen, Positionierungen und Rollenfindung (Bekemeier et al. 2021) anstreben. Ein Fokus auf die impliziten, latenten Wissensbestände – z.B. auch unter Einbezug der seminaristischen Praxis – bleiben noch offen. Im Hinblick auf eine professionalisierungstheoretische Befragung des Gegenstandes sind diesbezügliche Erkenntnisse jedoch wesentlich, weil sie Rückschlüsse auf diejenigen Orientierungen ermöglichen, die handlungsleitend werden. Der Einzelbeitrag präsentiert anschließend an dieses Desiderat Rekonstruktionen aus praxeologisch-wissenssziologischer Perspektive zu u.a. differierenden Rollenverständnissen von Hochschullehrenden des Lehramts, zudem typisierte Identitätsnormen und Wahrnehmungen von (Interaktionen mit) den Studierenden.
Empirische Grundlage des Beitrags sind Gruppendiskussionen mit Lehrenden der Bildungswissenschaften und ausgewählter Fachdidaktiken, die im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitstudie des QLB-Projekts KALEI2 (Professionalisierung durch Heterogenitätssensibilierung) erhoben und im professionstheoretischen Erkenntnisinteresse befragt wurden. Basierend auf Annahmen der praxeologischen Wissenssoziologie wurden diese mittels der Dokumentarischen Methode ausgewertet (Bohnsack 2017, 2020, 2021). Grundlagentheoretisch offenbart sich damit ein Fokus auf latente, implizite Wissensbestände und feldspezifische Dimensionen des Habitus (Bourdieu 1982) zugleich auch feldspezifische institutionelle Anforderungslogiken, denen sich die Lehrerbildner:innen ausgesetzt sehen.
Das Sample umfasst sieben Gruppendiskussionen mit jeweils 2-4 Teilnehmenden, die audiographiert und transkribiert vorliegen. Entlang von wenigen, gleichlautenden Erzählstimuli wurden die Gruppen aufgefordert, sich zu ihren Erfahrungen in der Lehre auszutauschen. Ohne dass solche Erzählimpulse explizit vorlägen, lassen sich über alle Gruppendiskussionen hinweg explizite und implizite (und durchaus kontrastreiche) Verhandlungen gruppenbezogener Rollenverständnisse und Identitätsnormen finden. In allen Gruppen zeigt sich darüber hinaus ein (ebenfalls durchaus kontrastreiches) Abarbeiten an Vorstellungen, Erwartungen und Erfahrungen, die in Bezug auf die Klientel – die Lehramtstudierenden – vorliegen. Die Vorstellungen von ‚idealen‘ Lehramtsstudierenden im Spannungsverhältnis zu den wahrgenommenen ‚realen‘ Lehramtsstudierenden erweisen sich in den Befunden als ein Schlüssel für die Rekonstruktion differierender Rollenverständnisse als Lehrerbildner:innen. Das Material deutet somit auf einen Zusammenhang der Anerkennungsformen gegenüber Studierenden (in Bezug auf die Anerkennungsformen gegenüber Schüler*innen siehe hierzu: Hericks 2007) und handlungsleitenden Orientierungen in der Lehrpraxis hin.
Ein Zusammenhang zwischen der habituell geprägten Rahmung der eigenen Rolle und Rahmung der Rolle der Klientel scheint aus praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive anschlussfähig. Im Einzelbeitrag sollen die aus den Rekonstruktionen hervorgegangenen Befunde vorgestellt und zur Diskussion gebracht werden.
Literatur
Bekemeier, K., Goerigk, P., Schweitzer, J., Schwier, V. & Wolf, E. (2021): Selbstdeutung, Positionierung & Rollenfindung: Zum Selbst in der universitären Lehrerinnenbildung (Themenheft).
PraxisForschungLehrerinnenBildung, 3(5).
Bohnsack, R. (2017): Praxeologische Wissenssoziologie. Stuttgart: Barbara Budrich.
Bohnsack, R. (2020). Professionalisierung in praxeologischer Perspektive: Zur Eigenlogik der Praxis in Lehramt, sozialer Arbeit und Frühpädagogik. Barbara Budrich.
Bohnsack, R. (2021): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. Opladen & Toronto: Barbara Budrich.
Bourdieu, P. (1982). Die feinen Unterschiede – Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Cochran-Smith, M. (2003): Learning and unlearning: The education of teacher educators. Teaching and Teacher Education, 19, 5-28.
Dengerink, J., Lunenberg, M. & Korthagen, F. (2015): The Professional Teacher Educator: Six Roles.
Gerecht M., Krüger H.-H., Sauerwein M. & Schultheiß J. (2020). Personal. In: (Hrsg.) H. Josef, H. Kuper & R. Martini, Datenreport Erziehungswissenschaft 2020. Erstellt im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE). Opladen; Berlin; Toronto : Verlag Barbara Budrich 2020, 115 -146.
Hericks, U.(2007): Anerkennung im Fachunterricht. In: J. Lüders (Hrsg.): Fachkulturforschung in der Schule. Opladen & Farmington Hills, 209-228.
Mayr, J., Gutzwiller-Helfenfinger, E., Krammer, G. & Nieskens, B. (2015): Lehrerbildnerinnen und Lehrerbildner: Was tun sie gern und was nicht? Eine Studie zur Interessenstruktur von Personen, die an der Lehrerinnen- und Lehrerbildung mitwirken. Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung 33 (2015) 3, S. 319-333.
Schratz, M. (2015). LehrerbildnerInnen. Die „unsichtbare Profession“ aus der Policy-Perspektive. Journal für LehrerInnenbildung, 15(2), 40-44.
Schrittesser, I. (2020). Qualifikationswege Dozierender in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In C. Cramer, J. König, M. Rothland & S. Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Klinkhardt, 843 – 850.
Tremp, P., Weil, M. (2015): Lehrerbildnerinnen und Lehrerbildner: Ansprüche und Kontexte. Einleitung ins Themenheft. Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung 33 (3), 309-318.
Tremp, P. (2015): Von Hochschullehrern, akademischer Lehre und Lehrerbildnerinnen: Über einige Erwartungen und Zumutungen. In: A. Niggli, C. Villiger Hugo & U. Trautwein, Ansprüche und Möglichkeiten in der Lehrer(innen)bildung. Münster: Waxmann, 19 – 34.
Weil, M. (2020): Rollengestaltung in der Hochschullehre. In: S. Hummel (Hrsg.), Grundlagen der Hochschullehre. Wiesbaden: Springer, 83 – 108.
Wittek, D. (2023). Kasuistik als ‚doppelte‘ Krise der Professionalisierung – Grenzerfahrungen von Studierenden und Lehrenden des Lehramts. In J.-H. Hinzke & M. Keller-Schneider (Hrsg.), Professionalität und Professionalisierung von Lehrpersonen. Perspektiven, theoretische Rahmungen und empirische Zugänge. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 115 -135.
Zwar kann als unstrittig gelten, dass Reflexion und Reflexivität im Rahmen pädagogischer Professionalität ein zentraler Stellenwert zugedacht wird (Häcker u.a. 2016), doch zeigt sich ebenso, dass die Begriffe höchst unterschiedlich verwendet und theoretisiert werden (Reintjes & Kunze 2022). Insbesondere rassismuskritische Ansätze weisen Reflexion als konstitutiv für pädagogisches Können in der Migrationsgesellschaft aus (vgl. Doğmuş & Geier 2020; Geier 2016). Während zum einen die normative Bedeutsamkeit reflexiver Konzepte für pädagogisches Handeln teils ungebrochen betont wird, gewinnen zum anderen auch kritische Stimmen, etwa aus subjektivierungstheoretischer Sicht, zunehmend an Bedeutung (Leonhard 2022). Es zeichnet sich somit ein kontroverser, vielstimmiger und widersprüchlicher Diskurs ab, der die Lehrer:innenbildung im Kern betrifft. Denn auch hier stellen sich Fragen danach, auf welche Konzepte von Reflexion und Reflexivität zurückgegriffen wird und wie Reflexion als Teil von Professionalisierung ermöglicht und gestaltet werden kann.
Für die zweite Phase der Lehrer:innenbildung werden insbesondere Nachbesprechungen, die im Anschluss an Unterrichtsbesuche stattfinden, als ein bedeutsamer Ort für eine professionelle Entwicklung von Reflexion hervorgehoben (vgl. Küper 2022). Angehende Lehrkräfte (LAAs) sind dazu angehalten, sich zur eigenen Praxis in Beziehung zu setzen, um ihr Unterrichten abwägen, begründen, beurteilen sowie hinsichtlich Planung und Durchführung diskutieren zu können (Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen 2023). Die dazu notwendige theoriegeleitete Reflexion soll zwischen den Seminarausbilder:innen, Lehrkräften und LAAs in den Nachbesprechungen eingeübt werden. Weniger wird dabei allerdings beleuchtet, inwieweit das professionelle Handeln der Seminarausbilder:innen in den Nachgesprächen ebenfalls einer Reflexion bedarf oder sie ebenso dazu angehalten sind bzw. aufgerufen werden.
Die wenigen empirischen Studien, die sich auf die Praxis der Nachbesprechungen beziehen (Bührig-Hollmann 2022; Küper 2022; Pereira Kastens et al. 2020) weisen auf einen Zwiespalt zwischen Beratung einerseits und Bewertung andererseits hin (vgl. Wernet 2006, 2009; Dzengel 2016; Lenhard 2004), zu dem sich die am Gespräch Beteiligten verhalten müssen. Wie sich angesichts dessen die Nachbesprechungen im Referendariat interaktiv ausgestalten, welche Varianz sich in der Handlungsgestaltung abzeichnet und welche Möglichkeiten und Grenzen für Reflexion und Reflexivität sich daraus ergeben, ist aus Sicht empirischer Forschung bislang ebenfalls nur wenig beleuchtet worden (Küper 2022, Peitz 2021; Schäfers 2017).
Der Vortrag wird vor diesem Hintergrund auf erste Ergebnisse einer Vorstudie Bezug nehmen, in der erstens die Unterrichtsnachgespräche anhand von Interaktionsprotokollen sinnlogisch rekonstruiert (Erhard & Sammet 2018) und zweitens fokussierte Interviews mit den am Gespräch Teilnehmenden zu eben den Nachgesprächen geführt und ausgewertet werden. Für den Einzelbeitrag soll dabei ein besonderes Augenmerk auf die Seminarausbilder:innen gerichtet werden. Leitende Fragestellungen sind: Welche Konzepte von Reflexion und Reflexivität lassen sich aus ihrer Gesprächs-praxis empirisch rekonstruieren und welchen Bezug stellen sie selbst dazu in den Interviews her? Wie konstellieren sie dabei normative Anforderungen an ihre Praxis im Kontext professionsbezogenen Wissens und Könnens (Helsper 2021) auf den Ebenen ihrer Praxis und Eigentheorie? Wie adressieren und subjektivieren sie ihr Gegenüber in den Nachbesprechungen (vgl. Reh & Ricken 2012)? Welche Subjektivierungen zeigen sich wiederum auf ihrer Seite?
Literatur
Bührig-Hollmann, A. (2023). Die Unterrichtsnachbesprechung in der zweiten Phase der Lehrerausbildung. Konzepte und Strategien der Beteiligten. Wiesbaden: Springer VS.
Doğmuş, A. & Geier, T. (2020). Rassismus als Fall? – Zu den Möglichkeiten rassismuskritischer Kasuistik und reflexiver Inklusion in der Lehrer:innenbildung. In M. Fabel-Lamla, K. Kunze, A. Molden-hauer & K. Rabenstein (Hrsg.), Kasuistik – Lehrer:innenbildung – Inklusion. Empirische und theoretische Verhältnisbestimmungen (S. 122–135). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Dzengel, J. (2016). Schule spielen. Zur Bearbeitung der Theorie-Praxis-Problematik im Studienseminar. Wiesbaden: Springer VS.
Erhard, F. & Sammet, K. (Hrsg.) (2018). Sequenzanalyse praktisch. Weinheim: Beltz Juventa.
Geier, T. (2016). Schule. In P. Mecheril (Hrsg.), Handbuch Migrationspädagogik (S. 433-448). Weinheim/Basel: Beltz.
Häcker, T., Berndt, C., & Walm, M. (2016). Reflexive Lehrerinnen- und Lehrerbildung in ‚inklusiven Zeiten‘. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Helsper, W. (2021). Professionalität und Professionalisierung pädagogischen Handelns: Eine Einführung. Opladen & Toronto: Verlag Barbara Budrich.
Küper, J. E. (2022). Das Antworten verantworten. Zur (Re-)Konzeptualisierung praktischer pädagogischer Reflexion anhand von Unterrichtsnachgesprächen im Kontext der zweiten Phase der Leh-rer:innenbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Lenhard, H. (2004). Zweite Phase an Studienseminaren und Schulen. In S. Blömeke, P. Reinhold, G. Tulodzieki & J. Wildt (Hrsg.), Handbuch Lehrerbildung (S. 275-289). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Leonhard, T. (2022). Reflexionsregime in Schule und Lehrerbildung. Zwischen guter Absicht und transintentionalen Folgen. In C. Reintjes & I. Kunze (Hrsg.), Reflexion und Reflexivität in Unterricht, Schule und Lehrer:innenbildung (S. 77-93). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (2023). Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen (OVP).
Peitz, J. (2021). Feedback zu einer Mathematikstunde. Rekonstruktion von Orientierungen in Unterrichts-nachbesprechungen. In J. Peitz & M. Harring (Hrsg.), Das Referendariat – ein systematischer Blick auf den schulpraktischen Vorbereitungsdienst (S. 169–188). Münster: Waxmann.
Pereira Kastens, C., Döring-Seipel, E. & Nolle, T. (2020). Selbstwirksamkeit erlangen, Belastung reduzieren? – Effekte des Feedbackverhaltens der Ausbilder/innen in Unterrichtsnachbesprechungen. In Journal for educational research online, Volume 12 (1), S. 67–90.
Reh, S. & Ricken, N. (2012). Das Konzept der Adressierung. Zur Methodologie einer qualitativ-empirischen Erforschung von Subjektivation. In I. Miethe & H.-R. Müller (Hrsg.), Qualitative Bildungsforschung und Bildungstheorie (S. 35–56). Opladen: Budrich.
Reintjes, C. & Kunze, I. (2022). Reflexion und Reflexivität in Unterricht, Schule und Lehrer:innenbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Schäfers, F. (2017). Normative Interaktion zwischen Ausbildenden und Referendarinnen bzw. Referendaren. Empirische (Re-)Konstruktion von „Beratungen“ in der Lehrerausbildung an einem Fallbeispiel. In S. Hauser & M. Luginbühl (Hrsg.), Gesprächskompetenz in schulischer Interaktion – normative Ansprüche und kommunikative Praktiken (S. 216–257). Bern: Hep.
Wernet, A. (2006). „Man kann ja sagen, was man will: es ist ein Lehrer-Schüler-Verhältnis.“ Eine fallanalytische Skizze zu Kollegialitätsproblemen im Referendariat. In W. Schubarth & P. Polenz, Philipp (Hrsg.), Qualitätsentwicklung und Evaluation in der Lehrerbildung. Die zweite Phase: Das Referendariat. Potsdamer Beiträge zur Lehrevaluation (S. 193-208). Universitätsverlag: Universität Potsdam.
Wernet, A. (2009). Konformismus statt kollegiale Anerkennung: Fallstudien zur Ausbildungskultur im Referendariat am Beispiel von Beurteilungen. Pädagogische Korrespondenz 39, S. 46-63.
Arbeitsgruppe: Fortbildner:innen im Fokus der Evaluation der Wirksamkeit von Lehrkräftefortbildungen
Daria Ferencik-Lehmkuhl$^1$, Cedric Lawida$^2$, Antonia Schmidt$^2$, Carola Schnitzler$^3$, Sonja Sieger$^2$, Charlotte Stehr$^1$ & Yasemin Uçan$^2$
1 Universität zu Köln, Institut für Deutsche Sprache und Literatur II
2 Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache an der Universität zu Köln
3 Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität zu Berlin
1. Evaluation der Wirksamkeit von Lehrkräftefortbildungen in BiSS-Transfer mit Fokus auf Merkmalen von Fortbildner:innen
Carola Schnitzler & Sonja Sieger
Lehrkräftefortbildungen sind entscheidend für die Verbreitung von Innovationen im Bildungssystem und tragen maßgeblich zur Weiterentwicklung der Schul- und Unterrichtsqualität bei (Gräsel, 2010). Das Forschungsnetzwerk BiSS-Transfer evaluiert in unterschiedlichen Teilprojekten den Erfolg von Blended-Learning-Lehrkräftefortbildungen, die allesamt auf die Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS) abzielen.
Die Gestaltung qualitativ hochwertiger Fortbildungen stellt Fortbildner:innen vor vielfältige Anforderungen und Aufgaben (vgl. Lipowsky & Rzejak, 2021; Prediger, 2019). Allerdings gibt es bislang nur wenige Studien, die Effekte von Fortbildner:innen auf den Fortbildungserfolg untersuchen (Lipowsky & Rzejak, 2021). Die Studien dieser Arbeitsgruppe adressieren diese Forschungslücke. Den theoretischen Rahmen bietet hierbei das Angebots-Nutzungs-Modell von Lipowsky & Rzejak (2019), in dem Lehrkräftefortbildungen als multifaktoriell bedingter Prozess und deren Erfolg als Transfer auf unterschiedlichen Ebenen betrachtet wird.
Dieser Beitrag gibt einen Überblick über das Forschungsnetzwerk BiSS-Transfer, in dem die nachfolgend vorgestellten Studien entstanden sind. Darin werden Fortbildner:innen zum einen im Hinblick auf unterschiedliche berufsbiografisch basierte Typen und zum anderen auf einen unterschiedlichen beruflichen Hintergrund untersucht. Auswirkungen dieser Charakteristika auf die erste Ebene des Fortbildungserfolgs werden analysiert - unter Kontrolle fortbildungsspezifischer professionsbezogener Merkmale (professionelle Kompetenz und professionelles Handeln). Indikatoren des Fortbildungserfolgs auf der ersten Ebene sind die direkte Reaktion der teilnehmenden Lehrkräfte auf die Fortbildung (Zufriedenheit) und ihre transferrelevanten Einstellungen (Akzeptanz der Fortbildungsinhalte und deren wahrgenommene Machbarkeit).
2. Eine Typologie des (berufs-)biografischen Selbstverständnisses von Fortbildner:innen in der sprachlichen Bildung
Cedric Lawida & Yasemin Uçan
Der Beitrag untersucht Fortbildner:innen, die im Forschungsnetzwerk BiSS-Transfer als Multiplikator:innen qualifiziert wurden, und rekonstruiert im Rahmen einer Typenbildung Motivlagen zur Tätigkeit als Fortbildner:in in der sprachlichen Bildung. Dem liegt ein berufsbiografisches Professionsverständnis für die Fortbildungstätigkeit zugrunde. Das zentrale professionstheoretische Erkenntnisinteresse richtet sich somit „auf Lebensläufe und Berufsbiografien von Lehrpersonen in ihrer institutionellen, organisationalen wie auch individuell-biografischen Kontextualisierung“ (Wittek & Jacob, 2020, S. 196). Aus dem Gesamtsample wurden 20 (berufs-)biografisch narrative Interviews mittels der biografischen Fallrekonstruktion (Rosenthal, 2014) ausgewertet. Die dabei entstandenen Fallstrukturen wurden anschließend einander gegenübergestellt, gruppiert und zu drei Typen verdichtet:
• Typus 1 verfolgt den pädagogisch-sozialen Anspruch, schulische Praxis zu verbessern, wozu die sprachliche Bildung ein wichtiger Faktor ist.
• Typus 2 zeichnet sich durch eine lebenslange Leidenschaft für sprachliche Themen aus, die zur Tätigkeit als Fortbildner:in führt.
• Typus 3 verhandelt seine Fortbildungstätigkeit als Balanceakt zwischen diversen beruflichen und privaten Interessen sowie Umständen.
Die Typen und ihre Rekonstruktion werden im Rahmen des Vortrags präsentiert und zur Diskussion gestellt.
3. Effekte berufsbiografisch basierter Typen von Fortbildner:innen auf den Fortbildungserfolg
Sonja Sieger & Antonia Schmidt
Der Beitrag untersucht anknüpfend an die vorangegangene Studie, ob Lehrkräfte (N=183) die verschiedenen Typen von Fortbilder:innen (N=40) hinsichtlich ihrer professionsbezogenen Merkmale unterschiedlich wahrnehmen. Außerdem wird erforscht, ob ein Zusammenhang zwischen Typus und Fortbildungserfolg auf Lehrkräfteebene besteht.
Der Fortbildungserfolg, gemessen an der Akzeptanz und Machbarkeit der Fortbildungsinhalte sowie der Zufriedenheit mit der Fortbildung, unterscheidet sich zwischen den Typen. Auch hinsichtlich der Merkmale der Fortbildner:innen (ihre durch die Lehrkräfte wahrgenommene professionelle Kompetenz und ihr professionelles Handeln) wurden signifikante Unterschiede gefunden.
Mediationsanalysen wurden durchgeführt, um zu überprüfen, ob durch die Typen Aspekte des Fortbildungserfolgs (Akzeptanz, Machbarkeit, Zufriedenheit) vorhersagt werden können und ob der direkte Effekt durch Merkmale der Fortbildner:innen (professionelle Kompetenz und professionelles Handeln) vermittelt wird. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass bestimmte Fortbildner:innen-Typen hinsichtlich der hier untersuchten Aspekte des Fortbildungserfolgs signifikant positiver durch die Lehrkräfte bewertet werden. Darüber hinaus wird dieser Unterschied zumindest partiell durch Merkmale der Fortbildner:innen mediiert.
Die Ergebnisse werden hinsichtlich der Stärke und Richtung der Effekte diskutiert.
4. Effekte des beruflichen Hintergrunds von Fortbildner:innen auf den Transfererfolg
Charlotte Stehr, Carola Schnitzler & Daria Ferencik-Lehmkuhl
Nicht nur wegen begrenzter Kapazitäten von Expert:innen aus Lehre und Forschung (z.B. Fachdidaktiker:innen), sondern auch wegen ihrer unmittelbaren Nähe zur schulalltäglichen Praxis werden in BiSS-Transfer Lehrkräfte als Multiplikator:innen qualifiziert. Diese setzen von Expert:innen konzipierte Fortbildungskonzepte im Blended-Learning-Format um.
Im Forschungsprojekt VERA-BiSS wurden zwei experimentelle Bedingungen zur Untersuchung der Wirksamkeit einer neu konzipierten Lehrkräftefortbildung zur datenbasierten Unterrichtsentwicklung mit den Vergleichsarbeiten (VERA) im Kompetenzbereich Lesen umgesetzt. Die hier vorgestellte Studie untersucht Unterschiede zwischen zwei Fortbildungsbedingungen, die sich aufgrund des beruflichen Hintergrunds der Fortbildner:innen ergeben (Projektmitarbeiter:innen, die in einem fachdidaktischen Institut an einer Universität tätig sind, vs. Multiplikator:innen, die hauptamtlich als Lehrkräfte tätig sind). Daten von insgesamt N = 66 Deutschlehrkräften der Sekundarstufe I wurden analysiert. Lehrkräfte, die durch Projektmitarbeiter:innen fortgebildet wurden, bewerteten sowohl den Fortbildungserfolg (Zufriedenheit, Akzeptanz, Machbarkeit) als auch die professionsbezogenen Merkmale der Fortbildner:innen (professionelle Kompetenz, professionelles Handeln) deutlich positiver. Die Effekte der Fortbildungsbedingung auf Zufriedenheit und die Machbarkeit wurden tendenziell anteilig durch die hier betrachteten Merkmale der Fortbildner:innen vermittelt.
Die Ergebnisse werden hinsichtlich der Relevanz von Merkmalen der Fortbildner:innen für den Erfolg von Lehrkräftefortbildungen diskutiert.
Literatur
Gräsel, C. (2010). Stichwort: Transfer und Transferforschung im Bildungsbereich. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 13(1), 7–20. https://doi.org/10.1007/s11618-010-0109-8
Lipowsky, F. & Rzejak, D. (2021). Fortbildungen für Lehrkräfte wirksam gestalten. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung.
Lipowsky, F. & Rzejak, D. (2019). Was macht Fortbildungen für Lehrkräfte erfolgreich? – Ein Update. In B. Groot-Wilken & R. Koerber (Hrsg.), Nachhaltige Professionalisierung für Lehrerinnen und Lehrer. Ideen, Entwicklungen, Konzepte. (S. 15–56). Bielefeld: wbv Medien.
Prediger, S. (2019). Fortbildungsdidaktische Kompetenz ist mehr als unterrichtsbezogene plus fortbildungsmethodische Kompetenz: Zur notwendigen fortbildungsdidaktischen Qualifizierung von Fortbildenden am Beispiel des verstehensfördernden Umgangs mit Darstellungen. In A. Büchter, M. Glade, R. Herold-Blasius, M. Klinger, F. Schacht & P. Scherer (Hrsg.), Vielfältige Zugänge zum Mathematikunterricht: Konzepte und Beispiele aus Forschung und Praxis. (S. 311–325). Wiesbaden: Springer Spektrum. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24292-3_22
Rosenthal, G. (2014). Interpretative Sozialforschung: Eine Einführung. Weinheim: Beltz Juventa.
Wittek, D., & Jacob, C. (2020). (Berufs-)biografischer Ansatz in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In C. Cramer, J. König, M. Rothland & S. Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 196–203). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Während die Frage nach der Genese und Veränderung von berufsbezogenen Wissensbeständen bei Studierenden des Lehramts im Verlauf des Studiums mittlerweile zunehmend Relevanz in der rekonstruktiven Lehrer:innenbildungsforschung erlangt (z. B. Košinár & Laros 2021; Wittek et al. i. D./2024), bleiben jene impliziten Wissensbestände der (hoch-)schulischen Lehrerbildner:innen, die etwaigen Professionalisierungsprozessen zugrunde liegen, noch völlig unausgeleuchtet. Dabei scheint es überfällig, diesen Akteur:innen in der Lehrer:innenbildung die entsprechende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. So sollte es im Erkenntnisinteresse der Professionsforschung allgemein, spezifisch auch der Lehrer:innenbildungsforschung liegen, die berufsbiografisch durchaus heterogenen Konstellationen auf Gemeinsamkeiten und Differenzen in den Potenzialen der Professionalisierung zu untersuchen, der eigenen wie der der Studierenden. Auf diesem Wege könnten sowohl Rückschlüsse zu Relationen der Professionalisierung der Studierenden, zu (de-)professionalisierenden Bewältigungsmodi in der Berufstätigkeit oder auch möglichen Unterstützungsangeboten gezogen werden.
Die hier geplante Arbeitsgruppe widmet sich diesem Erkenntnisinteresse aus rekonstruktiv forschender Perspektive und folgt dem Interesse an impliziten Wissensständen gemäß den Annahmen der Praxeologischen Wissenssoziologie. Grundlagentheoretisch beziehen wir uns demnach auf ein praxeologisches Verständnis von Professionalisierung, das derzeit verstärkt Aufmerksamkeit und Ausdifferenzierung erfährt (Bohnsack 2020; Korte et al. i. D./2024; Wittek et al. i. D./2024); methodologisch auf die Dokumentarische Methode. Dabei verfolgen wir innerhalb der Arbeitsgruppe das Ziel, bislang vor allem für Lehrpersonen und Lehramtsstudierende formulierte professionstheoretische und empirische Befunde auch für Lehrerbildner:innen zu generieren. Konkret fragen wir, welche Einsichten zu Professionalisierung eine praxeologisch-wissenssoziologische Perspektive auf (hoch-)schulische Lehrerbildner:innen bietet und was folglich Elemente einer praxeologischen Professionstheorie hochschulischer Lehrerbildner:innen sein könnten.
Zum geplanten Ablauf: Vortrag 1 entwickelt einen möglichen begrifflich-konzeptionellen Rahmen für die zwei sich anschließenden empirisch basierten Beiträge sowie die gemeinsame Diskussion. Vortrag 2 präsentiert entlang einer Interviewlängsschnittstudie mit Praxislehrpersonen in der Schweiz eine Typologie hinsichtlich ihres Rollenselbstbildes, den wahrgenommenen Institutionsnormen und ihrem habituellen Umgang mit diesen. Vortrag 3 zeigt entlang von Gruppendiskussionen mit Lehrenden an einer deutschen Hochschule eine Typenbildung zu unterschiedlichen Weisen der Rekontextualisierung als zentralem Modus lehrerbildenden Handelns, die exemplarisch hinsichtlich ihres Ertrags für die professionsbezogene Hochschulforschung befragt werden.
Vortrag 1: Grundelemente einer praxeologischen Professionstheorie lehrerbildenden Handelns. Eine Kartierung im Kontext der aktuellen Professions- und Hochschulforschung
Ausgangspunkt des Vortrags sind die grundlagen- und meta-theoretischen Annahmen der Praxeologischen Wissenssoziologie, die Bohnsack (2020) mit Bezug auf die Bourdieu’sche Kultursoziologie, die Luhmann’sche Systemtheorie und die Chicagoer Schule gegenstandstheoretisch weiterentwickelt hat (auch Bohnsack et al. 2022), sodass von der Begründung einer praxeologischen Professionstheorie gesprochen werden kann. Ziel des Vortrags ist es, diese Professionstheorie, die bisher vor allem auf die Soziale Arbeit, Schule und die Elementarpädagogik bezogen wurde, auch für die Hochschule, die Interaktionen zwischen Lehrerbildner:innen und Studierenden, fruchtbar zu machen.
Der Vortrag skizziert folglich v. a. aus theoretischer Perspektive Elemente einer praxeologischen Professionstheorie lehrerbildenden Handelns, indem die Grundbegriffe und Grundannahmen Bohnsacks Professionstheorie für die Lehrer:innenbildung ausbuchstabiert werden. So kann etwa die Hochschule als sog. ‚People Processing Organization‘ konzeptualisiert werden. Weiter ist davon auszugehen, dass Lehrende wie Studierende in ein Geflecht aus Normen auf unterschiedlichen Ebenen (gesellschaftlich, organisational usw.) eingebettet sind, wozu ihre je eigenen habituellen Dispositionen zu relationieren sind. Professionalisierung bedeutet vor diesem Hintergrund, dass in der Interaktion zwischen Lehrerbildner:innen und Studierenden eine konstituierende Rahmung hergestellt werden kann, die Norm-Habitus-Spannungen zwischen Klientel und Professionellen bzw. Organisation also dauerhaft bewältigt bzw. bearbeitet werden. Zur Plausibilisierung dieser professionstheoretischen Skizze reinterpretiert der Vortrag Studien und Befunde der (auch nicht lehrerbildungsspezifischen und nicht praxeologisch ausgerichteten) Hochschulforschung (z. B. Kollmer 2021; Kalthoff/Engert 2023), die bereits Fragen von Normen und Habitus im Blick haben. Abschließend werden Potenziale gegenüber anderen professionstheoretischen Zugriffen (Lischka-Schmidt i. E./2024) andiskutiert.
Vortrag 2: Ausbilder:innenhandeln im Spannungsfeld zwischen Habitus und Institutionsnormen. Eine Typologie am Beispiel von Praxislehrpersonen in der Schweiz
In der einphasigen Lehrer:innenausbildung in der Schweiz kommt der Praxislehrperson (PLP) eine zentrale Rolle zu (z.B. Leineweber 2022; Košinár & Laros 2023), die sich seit 2013 in einem (noch unvollzogenen) Paradigmenwechsel von der Meisterlehrer:in zur Lehrerbildner:in befindet. Das in der berufsbiografischen Professionalisierungsforschung verortete SNF-Projekt «Die Praxislehrperson als Lehrerbildner:in» befasst sich u.a. mit der Aushandlung des doppelten Berufsauftrags (Lehrperson und Ausbilder:in) von PLP: Durch ihre Tätigkeit als Ausbilder:innen sind sie zwei Institutionen mit unterschiedlichen Handlungslogiken und Institutionsnormen verpflichtet. Auch begleiten sie eine Vielfalt an Studierenden in verschiedenen Studienphasen, wodurch sie gefordert sind, ihre Beratungsfunktion adaptiv anzupassen.
Über Interviews mit hohen narrativen Anteilen werden im Längsschnitt neue (n=8) und erfahrene (n=8) PLP u.a. zu ihren Erfahrungen mit Studierenden und ihrem Umgang mit Vorgaben der PH befragt. Mittels der dokumentarischen Methode (Bohnsack 2017) wird der Orientierungsrahmen im weiteren Sinne (O.i.w.S.) rekonstruiert und herausgearbeitet, wie der Habitus das Spannungsverhältnis zu den wahrgenommenen Institutionsnormen und die Erwartungen an die eigene Ausbilder:innenrolle moderiert. Im Zuge der Fallkomparation wird z.Zt. eine Typologie entwickelt. Erste Rekonstruktionen weisen auf die Divergenz hin, dass der doppelte Berufsauftrag LP und PLP in einer Parallelführung beider Rollen münden kann oder aber in die LP-Rolle integriert wird. Im Weiteren zeigen sich verschiedene Ausbilder:inorientierungen vor deren Hintergrund PLP z.B. als Bewährungsdruckvermeidende oder als Lehrermacher:in agieren. Im Beitrag wird die Typologie anhand kontrastierender Fallbeispiele veranschaulicht und es werden aufgekommene methodologische Herausforderungen diskutiert.
Vortrag 3: Rekontextualisierung als zentraler Modus lehrerbildenden Handelns
Der Beitrag schließt an die im ersten Beitrag der Arbeitsgruppe entfalteten grundlagentheoretischen und methodologischen Vorannahmen an. Auf Grundlage rekonstruktiver Analysen innerhalb der wissenschaftlichen Begleitstudie des im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung geförderten KALEI2-Projekts an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg werden gegenstandstheoretische und empirische Erkenntnisse zu interaktionsbezogenen Erfahrungen von Hochschullehrenden im Lehramt präsentiert. Entlang von sieben Gruppendiskussionen mit Lehrenden aus den Bildungswissenschaften und ausgewählten Fachdidaktiken, die mittels Dokumentarischer Methode ausgewertet wurden, wird eine Typenbildung zu latenten, impliziten Wissensbeständen und feldspezifischen Dimensionen der Habitus (Bourdieu 1982) vorgestellt (erste Befunde finden sich in Wittek 2023).
Die Rekonstruktionen deuten auf Spannungsverhältnisse zwischen verschiedenen wahrgenommenen Normen des beruflichen Handelns (u.a. Lehre, Forschung, Programmatik kasuistischer Seminarinteraktionen) und Teildimensionen beruflicher Habitus (u.a. Disziplinzugehörigkeit, Statusgruppe) hin (Schmidt & Wittek 2021). Die Bearbeitung dieser Spannungsverhältnisse und unterschiedlich intensive Potenziale der Enaktierung werden hinsichtlich der Professionalisierung der Hochschullehrenden aus praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive (Bohnsack 2020) diskutiert. Als zentral erweisen sich dabei empirisch unterschiedliche Weisen der Rekontextualisierung als zentraler Modus lehrerbildenden Handelns der Befragten, die exemplarisch hinsichtlich ihres Ertrags für die professionsbezogene Hochschulforschung hinterfragt werden.
Vom Personal in der hochschulischen Lehrer:innenbildung wird neben disziplinär verankertem Wissen über Schule und Fachdisziplinen, meist gestützt durch eigene Forschungstätigkeiten, auch ein Wissen über Professionalisierungsprozesse von (angehenden) Lehrer:innen erwartet (Schrittesser 2020). Diese Doppelrolle von Wissensvermittlung und Begleitung von Professionalisierungsprozessen findet ihren Niederschlag im Praxiserfahrungserfordernis als Einstellungskriterium. Dozierende sollen für Studierende Lehr-Lern-Settings gestalten, die zum einen zur wissenschaftsbezogenen Auseinandersetzung mit schulischer Praxis befähigen und zum anderen pädagogische Handlungsfähigkeit anbahnen. Daher sind Dozierende in der Lehrer:innenbildung nicht nur in klassischen universitären Lehrformaten, sondern auch im Rahmen schulpraktischer Studien tätig. Dabei handelt es sich um eigenständige Studienelemente, in denen von Seiten der Hochschule Dozierende in die Berufsfeldorientierung eingebunden sind. Zum Teil kooperieren sie dabei auch mit Mentor:innen der Praxisschulen, z.B. in Unterrichtsnachbesprechungen. Diese werden konzeptionell als „dritten Raum“ (Leonhard et al. 2016) für die Professionalisierung zukünftiger Lehrpersonen bestimmt, in welchem es die beiden Referenzsysteme Wissenschaft und Berufsfeld produktiv aufeinander zu beziehen gilt. In Bezug auf die Schulpraxisbegleitung durch Dozierende stellt sich besonders die Frage, wie sie sich in Bezug auf Praxiserfahrung und Wissen positionieren. Es gibt kaum Studien, die auf der Grundlage von In-situ-Daten Dozierende in der Schulpraxisbegleitung in den Blick nehmen. Erste Befunde deuten darauf hin, dass Dozierende sich in Unterrichtsnachbesprechungen vor allem auf schulpraktisch-handlungsleitende Wissensordnungen beziehen (Brack 2019) und sich in Bezug auf akademische Wissensordnungen sogar selbst marginalisieren (Fabel-Lamla et al. 2021).
Die Arbeitsgruppe wendet sich diesen Desiderata zu, indem auf Dozierende der Lehrer:innenbildung im Kontext von Unterrichtsnachbesprechungen und Eignungsgesprächen anhand von In-situ-Daten geblickt wird. An den Unterrichtsnachbesprechungen nehmen der:die Dozierende, der:die Mentor:in, ein:e Studierende:r, der:die unterrichtet hat, sowie weitere Studierende teil. Die Eignungsgespräche finden zwischen einem Dozierenden und einem Studierenden statt. Anhand ausgewählter Fälle werden Sprechakte von Dozierenden adressierungsanalytisch (Kuhlmann 2023) rekonstruiert: Auf welches Wissen und welche Erfahrungen beziehen sich Dozierende im Kontext des Schulpraktikums? Wie resp. als wer positionieren sie sich in diesen Gesprächen?
Melanie Fabel-Lamla und Anca Leuthold-Wergin analysieren in ihrem Beitrag Normen, Wissensordnungen und Positionierungen von Dozierenden in Unterrichtsnachbesprechungen in der Studieneingangsphase. Die Daten stammen aus dem Forschungsprojekt „Gesprächspraktiken in Unterrichtsnachbesprechungen der Schulpraktischen Studien am Studienbeginn“, in welchem 14 Unterrichtsnachbesprechungen im Rahmen der Schulpraktischen Studien, die von den Bildungswissenschaften verantwortet werden, audiographiert wurden. Gefragt wird, welche Normen und Wissensordnungen Dozierende in der Gegenwart von Studierenden und Mentor:innen aufrufen und welche (Selbst-)Positionierungen die Dozierenden in diesem besonderen Lehr-Lern-Setting vornehmen.
Die Analysen zeigen, dass sich Dozierende in unterschiedlicher Weise auf Normen und Wissensordnungen beider Referenzsysteme Wissenschaft und Berufsfeld beziehen und sich sowohl dominierende als auch marginalisierende (Selbst-)Positionierungen der Dozierenden im ‚dritten Raum‘ der Unterrichtsnachbesprechungen finden.
Lydia Brack widmet sich vor dem Hintergrund des Praxiserfahrungserfordernisses schulpraktischen Erfahrungen von Dozierenden als Thema in Unterrichtsnachbesprechungen. Als gesetzlich festgeschriebenes Einstellungskriterium für hochschulisches Lehrpersonal im Kontext der Lehrer:innenbildung (Rothland & Bennewitz 2018) ist das Praxiserfahrungserfordernis seit Jahrzehnten umstritten. Während Befürwortende darin einen Ausgleich zur Verwissenschaftlichung sehen, befürchten Kritiker:innen eine Unterwanderung des Wissenschaftsbezugs in der Lehrer:innenbildung (Scheidig 2020). Dabei ist nicht geklärt, welche Wirkung dem Schulpraxiserfordernis im Aufgabenspektrum von universitärer Lehre und vor allem Schulpraxisbegleitung zugedacht werden kann und soll (ebd.). Für den empirischen Beitrag werden 14 Nachbesprechungen zum Deutschunterricht herangezogen, die im Rahmen des Semesterpraktikums erhoben wurden (Brack 2019). Der Datensatz wurde im Hinblick auf die Frage durchgesehen, wie und auf welche schulpraktischen Erfahrungen die Dozierenden rekurrieren und wie sie sich dazu positionieren. Drei ausgewählte Fälle zeigen ein Spektrum der Erfahrungsbezüge und Selbstpositionierungen: Während im ersten Fall Erfahrungen mit didaktischen Empfehlungen verbunden werden, zeigen sich im zweiten Fall Erfahrungen als Reflexionsfolien für Potentiale und Grenzen didaktischer Entscheidungen, die – wie der dritte Fall zeigt – zu kollegialen Entscheidungen relationiert werden können.
Ezgi Güvenç betrachtet in ihrem Beitrag Subjektivierungsprozesse von Dozierenden in Eignungsgesprächen der berufspraktischen Ausbildung. Diese Eignungsgespräche sind als verpflichtender Bestandteil mit konzeptionellen Absichten verbunden, die auf die individuelle Begleitung und Unterstützung von Professionalisierungsprozessen abzielen (vgl. Herzog et al. 2017, S.13). Im Zentrum der Rekonstruktion stehen zwei exemplarisch ausgewählte Eignungsgespräche, an der untersuchten Hochschule, die im Rahmen des Forschungsprojekts „Trajektorien in den Lehrberuf“ ethnographisch und audiographisch erhoben wurden. Es wird gefragt, wie sich die Dozierende mit institutionellen Anforderungen im Format der Eignungsgespräche auseinandersetzen, welche Wissensordnungen sie aufrufen und wie sie sich darin selbst positionieren. Die Analyse zeigt unterschiedliche Zugänge: Eine Dozentin positioniert sich als Beobachterin, die die Anpassungsleistung an die institutionellen Vorgaben beurteilt, während sich die andere als Kooperationspartnerin bei der Eignungsabklärung zeigt.
Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe werden abschließend vor dem Hintergrund differenter Anforderungen an das Wissen der Dozierenden und der Kontroverse zum Schulpraxiserfordernis in Bezug auf die Professionalisierung angehender Lehrer:innen diskutiert.
Literatur
Brack, Lydia (2019): Professionalisierung im Gespräch. Subjektivierungen in Nachbesprechungen zum Grundschulunterricht im Rahmen des Semesterpraktikums. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Kuhlmann, Nele (2023): Adressierungsanalyse als Zugang zur Subjektivierungsforschung. Methodologisch-methodische Weiterentwicklungen und Werkstattbericht. In: Ricken, N. et al.: Die Sprachlichkeit der Anerkennung. Subjektivierungstheoretische Perspektiven auf eine Form des Pädagogischen. Weinheim: Juventa, S. 68-111.
Fabel-Lamla, Melanie, Kowalski, Marlene, Leuthold-Wergin, Anca (2021): Schulpraktische Studien im Kontext der Forderung nach Kohärenz. Empirische Analysen zum Adressierungsgeschehen in Unterrichtsnachbesprechungen. In: Reintjes, C. et al. (Hrsg.): Schulpraktische Studien und Professionalisierung: Kohärenzambitionen und alternative Zugänge zum Lehrberuf. Münster: Waxmann, S. 69-84.
Herzog, Simone, Peyer, Ruth & Leonhard, Tobias (2017): Im Modus individueller Unterstützung: Zur Begleitung von Professionalisierungsprozessen im Mentorat. In: Fraefel, U. & Seel, A. (Hrsg.): Konzeptionelle Perspektiven Schulpraktischer Studien: Partnerschaftsmodelle – Praktikumskonzepte – Begleitformate. Münster: Waxmann, S. 163-175.
Leonhard, Tobias, Fraefel, Urban, Jünger, Sebastian, Košinar, Julia, Reintjes, Christian & Richiger, Beat (2016): Zwischen Wissenschafts- und Berufspraxis. Berufspraktische Studien als dritter Raum der Professionalisierung von Lehrpersonen. In: Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 11(1), S. 79–98. Doi.org/10.3217/zfh e-11-01/05
Rothland, Martin & Bennewitz, Hedda (2018): Praktiker zu Theoretikern!? Das Schulpraxiserfordernis oder warum Ewald Terhart kein Schulpädagoge sein dürfte. In: Rothland, M. & Lüders, M. (Hrsg.): Lehrer-Bildungs-Forschung. Münster: Waxmann, S. 25-41.
Scheidig, Falk (2020): Schulpraktische Erfahrung von Dozierenden als Basis praxisbezogener Lehrerinnen- und Lehrerbildung? Positionen und Anfragen zum Schulpraxiserfordernis. In: Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung. 38 (3), S. 343-358.
Schrittesser, Ilse (2020). Qualifikationswege Dozierender in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In: Cramer, C. et al. (Hrsg.): Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 843-850. Doi.org/10.35468/hblb2020-104