25.–27. Sept. 2024
Universität Trier
Europe/Berlin Zeitzone

Selbst- und Fremdbilder von Hochschuldozierenden in Kontexten Forschenden Lernens: ‚Motivierende‘, ‚Lotsen‘ und ‚Gegner‘

27.09.2024, 09:00
35m

Sprecher

Alexandra Damm (Justus-Liebig-Universität Gießen)Prof. Jan-Hendrik Hinzke (Justus-Liebig-Universität Gießen)

Beschreibung

Forschendes Lernen stellt in der universitären Lehrer:innenbildung verschiedene Anforderungen, die als anspruchsvoll und bisweilen widerläufig eingeschätzt werden können. So gilt es Bildungsansprüche mit Ansprüchen einer Qualifizierung ebenso zu vermitteln wie den Aufbau einer forschenden Haltung mit forschungs- und professionsbezogenen Kompetenzen (Huber & Reinmann 2019). Der Trend, Forschendes Lernen im Kontext verlängerter Praxisphasen wie Praxissemestern einzusetzen (Fichten & Weyland 2020), verlangt eine Relationierung von Wissenschaft und Schulpraxis verstärkt ein. Historisch betrachtet zeigen sich damit anders gelagerte Herausforderungen als bei der Einführung des hochschuldidaktischen Prinzips Ende der 1960er Jahre, als es in erster Linie um eine Förderung der Eigenständigkeit von Studierenden durch methodisch geleitete Erkenntnisgewinnung ging (BAK 1970). Es ist zu fragen, inwiefern eine solche Eigenständigkeit mit den heutigen modularisierten und durch Leistungsüberprüfung gekennzeichneten Lehramtsstudiengängen konfligiert und mit welchen weiteren Herausforderungen für die Gestaltung Forschenden Lernens derartige Rahmenbedingungen einhergehen.
Hochschuldozierende sind vor diesem Hintergrund gefordert, mit den offenen Fragen und Widersprüchen angemessen umzugehen. Professionstheoretisch betrachtet verweisen die Anforderungen auf Entscheidungssituationen, die teilweise durch die aus der Lehrerprofessionsforschung bekannten Antinomien pädagogischen Handelns (Helsper 2000) samt einer damit verbundenen Ungewissheit näher erklärt werden können – zu nennen sind insbesondere die Organisations-, die Autonomie- und die Sachantinomie. Angesichts dessen erstaunt es, dass bislang kaum Forschung zu Erfahrungen und Perspektivierungen von Hochschuldozierenden im Kontext Forschenden Lernens vorliegt (Ausnahme Schöning et al. 2018). Eine solche Forschung könnte jenseits hochschuldidaktischer Betrachtungen zum Lehren Forschenden Lernens (Reinmann 2020) empirische Erkenntnisse zur Praxis der Lehrer:innenbildung liefern, deren Reflexion eine Basis zur Konzeption eines auf Hochschuldozierende gerichteten professionstheoretischen Zugangs bietet.
Der Beitrag widmet sich diesem Desiderat, indem eine empirische Studie vorgestellt wird, in der Selbst- und Fremdbilder von Hochschuldozierenden rekonstruiert und miteinander verglichen wurden. Im Rahmen des DFG-Projektes „Rekonstruktive Längsschnittstudie zu Professionalisierungsprozessen im Kontext Forschenden Lernens: ein Standortvergleich“ (ReLieF, 2021-2024) wurden an zwei Universitäten zu zwei Zeitpunkten sechs Expert:inneninterviews mit Hochschuldozierenden im Bereich Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft geführt. Aus diesen lassen sich Rollenverständnisse rekonstruieren, die die Dozierenden mit ihrer Tätigkeit verbinden. Darüber hinaus wurden 15 Gruppendiskussionen mit Studierenden geführt. In diesen kommen die Studierenden selbstläufig auf ihre Wahrnehmung der Dozierenden in Kontexten forschenden Lernens zu sprechen.
Im Beitrag werden die mit der Dokumentarischen Methode (Bohnsack 2021) generierten Ergebnisse der Dozierenden- und Studierendenerhebung miteinander relationiert. Die Analysen zeigen erstens, dass bestimmte Selbstbilder der Hochschuldozierenden eine Entsprechung auf Seiten der Studierenden finden, insbesondere was das Rollenbild der Ermöglichung resp. Unterstützung des Forschens und Lernens betrifft. Dem gegenüber werden dann Kontraste deutlich, wenn die Studierenden die Dozierenden insbesondere im Kontext Praxissemester als diejenigen wahrnehmen, die für die Erfüllung universitärer Vorgaben einstehen. Während die Studierenden eine Solidarisierung durch jene Mentor:innen wahrnehmen, die sie an den Schulen im Praxissemester begleiten, erscheinen die Hochschuldozierenden bisweilen als die gemeinsamen Gegner.
Aufbauend auf den Interpretationsergebnissen wird diskutiert, inwiefern ausgewählte Konzepte zur Professionalität von (angehenden) Lehrpersonen auf Hochschuldozierende im Kontext Forschenden Lernens übertragen werden können. Dabei geraten Chancen und Limitationen des umgesetzten Forschungsdesigns ebenso in den Blick wie die Frage nach der Professionalisierung von Hochschuldozierenden und schulischen Mentor:innen – und was diese für die Professionalisierung von Lehramtsstudierenden bedeuten könnte.

Literatur:
BAK (= Bundesassistentenkonferenz) (1970). Forschendes Lernen — Wissenschaftliches Prüfen. Schriften der Bundesassistentenkonferenz 5. Bonn.
Bohnsack, R. (2021). Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden (10., über-arb. Aufl.). Opladen u. a.: Budrich/UTB.
Fichten, W. & Weyland, U. (2020). Forschendes Lernen in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In C. Cramer, J. König, M. Rothland & S. Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 673-680). Bad Heilbrunn: Klinkhardt/UTB.
Helsper, W. (2000). Antinomien des Lehrerhandelns und die Bedeutung der Fallrekonstruktion – Überlegungen zu einer Professionalisierung im Rahmen universitärer Lehrerausbildung. In E. Cloer, D. Klika & H. Kunert (Hrsg.), Welche Lehrer braucht das Land? Notwendige und mögliche Reformen der Lehrerbildung (S. 142-177). Weinheim & München: Juventa.
Huber, L. & Reinmann, G. (2019). Vom forschungsnahen zum forschenden Lernen an Hochschulen. Wege der Bildung durch Wissenschaft. Wiesbaden: Springer VS.
Reinmann, G. (2020). Forschungsnahes Lehren und Lernen an Hochschulen in der Denkfigur des didaktischen Dreiecks. In M. Brinkmann (Hrsg.), Forschendes Lernen. Pädagogische Studien zur Konjunktur eines hochschuldidaktischen Konzepts (S. 39-59). Wiesbaden: Springer VS.
Schöning, A., Brandhorst, A. & Goerigk, P. (2018). „Das ist im Rahmen“ – Das Wissen von fachdidaktischen Lehrenden über die Angemessenheit studentischer Forschung im Praxissemester. HLZ, 1, 193-210.

Hauptautor

Prof. Jan-Hendrik Hinzke (Justus-Liebig-Universität Gießen)

Co-Autoren

Alexandra Damm (Justus-Liebig-Universität Gießen) Prof. Angelika Paseka (Universität Hamburg) Vanessa-Patricia Boldt (Universität Hamburg)

Präsentationsmaterialien

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