25.–27. Sept. 2024
Universität Trier
Europe/Berlin Zeitzone

Möglichkeiten und Grenzen von Reflexivität – Zur Praxis von Seminarausbilder*innen in Unterrichtsnachbesprechungen

27.09.2024, 10:10
35m

Sprecher

Dr. Thomas Geier (TU Dortmund)Frau Miriam Mathias (TU Dortmund) Marion Peitz (TU Dortmund)Dr. Christiane Ruberg (TU Dortmund)

Beschreibung

Zwar kann als unstrittig gelten, dass Reflexion und Reflexivität im Rahmen pädagogischer Professionalität ein zentraler Stellenwert zugedacht wird (Häcker u.a. 2016), doch zeigt sich ebenso, dass die Begriffe höchst unterschiedlich verwendet und theoretisiert werden (Reintjes & Kunze 2022). Insbesondere rassismuskritische Ansätze weisen Reflexion als konstitutiv für pädagogisches Können in der Migrationsgesellschaft aus (vgl. Doğmuş & Geier 2020; Geier 2016). Während zum einen die normative Bedeutsamkeit reflexiver Konzepte für pädagogisches Handeln teils ungebrochen betont wird, gewinnen zum anderen auch kritische Stimmen, etwa aus subjektivierungstheoretischer Sicht, zunehmend an Bedeutung (Leonhard 2022). Es zeichnet sich somit ein kontroverser, vielstimmiger und widersprüchlicher Diskurs ab, der die Lehrer:innenbildung im Kern betrifft. Denn auch hier stellen sich Fragen danach, auf welche Konzepte von Reflexion und Reflexivität zurückgegriffen wird und wie Reflexion als Teil von Professionalisierung ermöglicht und gestaltet werden kann.
Für die zweite Phase der Lehrer:innenbildung werden insbesondere Nachbesprechungen, die im Anschluss an Unterrichtsbesuche stattfinden, als ein bedeutsamer Ort für eine professionelle Entwicklung von Reflexion hervorgehoben (vgl. Küper 2022). Angehende Lehrkräfte (LAAs) sind dazu angehalten, sich zur eigenen Praxis in Beziehung zu setzen, um ihr Unterrichten abwägen, begründen, beurteilen sowie hinsichtlich Planung und Durchführung diskutieren zu können (Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen 2023). Die dazu notwendige theoriegeleitete Reflexion soll zwischen den Seminarausbilder:innen, Lehrkräften und LAAs in den Nachbesprechungen eingeübt werden. Weniger wird dabei allerdings beleuchtet, inwieweit das professionelle Handeln der Seminarausbilder:innen in den Nachgesprächen ebenfalls einer Reflexion bedarf oder sie ebenso dazu angehalten sind bzw. aufgerufen werden.
Die wenigen empirischen Studien, die sich auf die Praxis der Nachbesprechungen beziehen (Bührig-Hollmann 2022; Küper 2022; Pereira Kastens et al. 2020) weisen auf einen Zwiespalt zwischen Beratung einerseits und Bewertung andererseits hin (vgl. Wernet 2006, 2009; Dzengel 2016; Lenhard 2004), zu dem sich die am Gespräch Beteiligten verhalten müssen. Wie sich angesichts dessen die Nachbesprechungen im Referendariat interaktiv ausgestalten, welche Varianz sich in der Handlungsgestaltung abzeichnet und welche Möglichkeiten und Grenzen für Reflexion und Reflexivität sich daraus ergeben, ist aus Sicht empirischer Forschung bislang ebenfalls nur wenig beleuchtet worden (Küper 2022, Peitz 2021; Schäfers 2017).
Der Vortrag wird vor diesem Hintergrund auf erste Ergebnisse einer Vorstudie Bezug nehmen, in der erstens die Unterrichtsnachgespräche anhand von Interaktionsprotokollen sinnlogisch rekonstruiert (Erhard & Sammet 2018) und zweitens fokussierte Interviews mit den am Gespräch Teilnehmenden zu eben den Nachgesprächen geführt und ausgewertet werden. Für den Einzelbeitrag soll dabei ein besonderes Augenmerk auf die Seminarausbilder:innen gerichtet werden. Leitende Fragestellungen sind: Welche Konzepte von Reflexion und Reflexivität lassen sich aus ihrer Gesprächs-praxis empirisch rekonstruieren und welchen Bezug stellen sie selbst dazu in den Interviews her? Wie konstellieren sie dabei normative Anforderungen an ihre Praxis im Kontext professionsbezogenen Wissens und Könnens (Helsper 2021) auf den Ebenen ihrer Praxis und Eigentheorie? Wie adressieren und subjektivieren sie ihr Gegenüber in den Nachbesprechungen (vgl. Reh & Ricken 2012)? Welche Subjektivierungen zeigen sich wiederum auf ihrer Seite?
Literatur

Bührig-Hollmann, A. (2023). Die Unterrichtsnachbesprechung in der zweiten Phase der Lehrerausbildung. Konzepte und Strategien der Beteiligten. Wiesbaden: Springer VS.
Doğmuş, A. & Geier, T. (2020). Rassismus als Fall? – Zu den Möglichkeiten rassismuskritischer Kasuistik und reflexiver Inklusion in der Lehrer:innenbildung. In M. Fabel-Lamla, K. Kunze, A. Molden-hauer & K. Rabenstein (Hrsg.), Kasuistik – Lehrer:innenbildung – Inklusion. Empirische und theoretische Verhältnisbestimmungen (S. 122–135). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Dzengel, J. (2016). Schule spielen. Zur Bearbeitung der Theorie-Praxis-Problematik im Studienseminar. Wiesbaden: Springer VS.
Erhard, F. & Sammet, K. (Hrsg.) (2018). Sequenzanalyse praktisch. Weinheim: Beltz Juventa.
Geier, T. (2016). Schule. In P. Mecheril (Hrsg.), Handbuch Migrationspädagogik (S. 433-448). Weinheim/Basel: Beltz.
Häcker, T., Berndt, C., & Walm, M. (2016). Reflexive Lehrerinnen- und Lehrerbildung in ‚inklusiven Zeiten‘. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Helsper, W. (2021). Professionalität und Professionalisierung pädagogischen Handelns: Eine Einführung. Opladen & Toronto: Verlag Barbara Budrich.
Küper, J. E. (2022). Das Antworten verantworten. Zur (Re-)Konzeptualisierung praktischer pädagogischer Reflexion anhand von Unterrichtsnachgesprächen im Kontext der zweiten Phase der Leh-rer:innenbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Lenhard, H. (2004). Zweite Phase an Studienseminaren und Schulen. In S. Blömeke, P. Reinhold, G. Tulodzieki & J. Wildt (Hrsg.), Handbuch Lehrerbildung (S. 275-289). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Leonhard, T. (2022). Reflexionsregime in Schule und Lehrerbildung. Zwischen guter Absicht und transintentionalen Folgen. In C. Reintjes & I. Kunze (Hrsg.), Reflexion und Reflexivität in Unterricht, Schule und Lehrer:innenbildung (S. 77-93). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (2023). Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen (OVP).
Peitz, J. (2021). Feedback zu einer Mathematikstunde. Rekonstruktion von Orientierungen in Unterrichts-nachbesprechungen. In J. Peitz & M. Harring (Hrsg.), Das Referendariat – ein systematischer Blick auf den schulpraktischen Vorbereitungsdienst (S. 169–188). Münster: Waxmann.
Pereira Kastens, C., Döring-Seipel, E. & Nolle, T. (2020). Selbstwirksamkeit erlangen, Belastung reduzieren? – Effekte des Feedbackverhaltens der Ausbilder/innen in Unterrichtsnachbesprechungen. In Journal for educational research online, Volume 12 (1), S. 67–90.
Reh, S. & Ricken, N. (2012). Das Konzept der Adressierung. Zur Methodologie einer qualitativ-empirischen Erforschung von Subjektivation. In I. Miethe & H.-R. Müller (Hrsg.), Qualitative Bildungsforschung und Bildungstheorie (S. 35–56). Opladen: Budrich.
Reintjes, C. & Kunze, I. (2022). Reflexion und Reflexivität in Unterricht, Schule und Lehrer:innenbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Schäfers, F. (2017). Normative Interaktion zwischen Ausbildenden und Referendarinnen bzw. Referendaren. Empirische (Re-)Konstruktion von „Beratungen“ in der Lehrerausbildung an einem Fallbeispiel. In S. Hauser & M. Luginbühl (Hrsg.), Gesprächskompetenz in schulischer Interaktion – normative Ansprüche und kommunikative Praktiken (S. 216–257). Bern: Hep.
Wernet, A. (2006). „Man kann ja sagen, was man will: es ist ein Lehrer-Schüler-Verhältnis.“ Eine fallanalytische Skizze zu Kollegialitätsproblemen im Referendariat. In W. Schubarth & P. Polenz, Philipp (Hrsg.), Qualitätsentwicklung und Evaluation in der Lehrerbildung. Die zweite Phase: Das Referendariat. Potsdamer Beiträge zur Lehrevaluation (S. 193-208). Universitätsverlag: Universität Potsdam.
Wernet, A. (2009). Konformismus statt kollegiale Anerkennung: Fallstudien zur Ausbildungskultur im Referendariat am Beispiel von Beurteilungen. Pädagogische Korrespondenz 39, S. 46-63.

Hauptautoren

Dr. Thomas Geier (TU Dortmund) Frau Miriam Mathias (TU Dortmund) Marion Peitz (TU Dortmund) Dr. Christiane Ruberg (TU Dortmund)

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