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Beschreibung
Während die Frage nach der Genese und Veränderung von berufsbezogenen Wissensbeständen bei Studierenden des Lehramts im Verlauf des Studiums mittlerweile zunehmend Relevanz in der rekonstruktiven Lehrer:innenbildungsforschung erlangt (z. B. Košinár & Laros 2021; Wittek et al. i. D./2024), bleiben jene impliziten Wissensbestände der (hoch-)schulischen Lehrerbildner:innen, die etwaigen Professionalisierungsprozessen zugrunde liegen, noch völlig unausgeleuchtet. Dabei scheint es überfällig, diesen Akteur:innen in der Lehrer:innenbildung die entsprechende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. So sollte es im Erkenntnisinteresse der Professionsforschung allgemein, spezifisch auch der Lehrer:innenbildungsforschung liegen, die berufsbiografisch durchaus heterogenen Konstellationen auf Gemeinsamkeiten und Differenzen in den Potenzialen der Professionalisierung zu untersuchen, der eigenen wie der der Studierenden. Auf diesem Wege könnten sowohl Rückschlüsse zu Relationen der Professionalisierung der Studierenden, zu (de-)professionalisierenden Bewältigungsmodi in der Berufstätigkeit oder auch möglichen Unterstützungsangeboten gezogen werden.
Die hier geplante Arbeitsgruppe widmet sich diesem Erkenntnisinteresse aus rekonstruktiv forschender Perspektive und folgt dem Interesse an impliziten Wissensständen gemäß den Annahmen der Praxeologischen Wissenssoziologie. Grundlagentheoretisch beziehen wir uns demnach auf ein praxeologisches Verständnis von Professionalisierung, das derzeit verstärkt Aufmerksamkeit und Ausdifferenzierung erfährt (Bohnsack 2020; Korte et al. i. D./2024; Wittek et al. i. D./2024); methodologisch auf die Dokumentarische Methode. Dabei verfolgen wir innerhalb der Arbeitsgruppe das Ziel, bislang vor allem für Lehrpersonen und Lehramtsstudierende formulierte professionstheoretische und empirische Befunde auch für Lehrerbildner:innen zu generieren. Konkret fragen wir, welche Einsichten zu Professionalisierung eine praxeologisch-wissenssoziologische Perspektive auf (hoch-)schulische Lehrerbildner:innen bietet und was folglich Elemente einer praxeologischen Professionstheorie hochschulischer Lehrerbildner:innen sein könnten.
Zum geplanten Ablauf: Vortrag 1 entwickelt einen möglichen begrifflich-konzeptionellen Rahmen für die zwei sich anschließenden empirisch basierten Beiträge sowie die gemeinsame Diskussion. Vortrag 2 präsentiert entlang einer Interviewlängsschnittstudie mit Praxislehrpersonen in der Schweiz eine Typologie hinsichtlich ihres Rollenselbstbildes, den wahrgenommenen Institutionsnormen und ihrem habituellen Umgang mit diesen. Vortrag 3 zeigt entlang von Gruppendiskussionen mit Lehrenden an einer deutschen Hochschule eine Typenbildung zu unterschiedlichen Weisen der Rekontextualisierung als zentralem Modus lehrerbildenden Handelns, die exemplarisch hinsichtlich ihres Ertrags für die professionsbezogene Hochschulforschung befragt werden.
Vortrag 1: Grundelemente einer praxeologischen Professionstheorie lehrerbildenden Handelns. Eine Kartierung im Kontext der aktuellen Professions- und Hochschulforschung
Ausgangspunkt des Vortrags sind die grundlagen- und meta-theoretischen Annahmen der Praxeologischen Wissenssoziologie, die Bohnsack (2020) mit Bezug auf die Bourdieu’sche Kultursoziologie, die Luhmann’sche Systemtheorie und die Chicagoer Schule gegenstandstheoretisch weiterentwickelt hat (auch Bohnsack et al. 2022), sodass von der Begründung einer praxeologischen Professionstheorie gesprochen werden kann. Ziel des Vortrags ist es, diese Professionstheorie, die bisher vor allem auf die Soziale Arbeit, Schule und die Elementarpädagogik bezogen wurde, auch für die Hochschule, die Interaktionen zwischen Lehrerbildner:innen und Studierenden, fruchtbar zu machen.
Der Vortrag skizziert folglich v. a. aus theoretischer Perspektive Elemente einer praxeologischen Professionstheorie lehrerbildenden Handelns, indem die Grundbegriffe und Grundannahmen Bohnsacks Professionstheorie für die Lehrer:innenbildung ausbuchstabiert werden. So kann etwa die Hochschule als sog. ‚People Processing Organization‘ konzeptualisiert werden. Weiter ist davon auszugehen, dass Lehrende wie Studierende in ein Geflecht aus Normen auf unterschiedlichen Ebenen (gesellschaftlich, organisational usw.) eingebettet sind, wozu ihre je eigenen habituellen Dispositionen zu relationieren sind. Professionalisierung bedeutet vor diesem Hintergrund, dass in der Interaktion zwischen Lehrerbildner:innen und Studierenden eine konstituierende Rahmung hergestellt werden kann, die Norm-Habitus-Spannungen zwischen Klientel und Professionellen bzw. Organisation also dauerhaft bewältigt bzw. bearbeitet werden. Zur Plausibilisierung dieser professionstheoretischen Skizze reinterpretiert der Vortrag Studien und Befunde der (auch nicht lehrerbildungsspezifischen und nicht praxeologisch ausgerichteten) Hochschulforschung (z. B. Kollmer 2021; Kalthoff/Engert 2023), die bereits Fragen von Normen und Habitus im Blick haben. Abschließend werden Potenziale gegenüber anderen professionstheoretischen Zugriffen (Lischka-Schmidt i. E./2024) andiskutiert.
Vortrag 2: Ausbilder:innenhandeln im Spannungsfeld zwischen Habitus und Institutionsnormen. Eine Typologie am Beispiel von Praxislehrpersonen in der Schweiz
In der einphasigen Lehrer:innenausbildung in der Schweiz kommt der Praxislehrperson (PLP) eine zentrale Rolle zu (z.B. Leineweber 2022; Košinár & Laros 2023), die sich seit 2013 in einem (noch unvollzogenen) Paradigmenwechsel von der Meisterlehrer:in zur Lehrerbildner:in befindet. Das in der berufsbiografischen Professionalisierungsforschung verortete SNF-Projekt «Die Praxislehrperson als Lehrerbildner:in» befasst sich u.a. mit der Aushandlung des doppelten Berufsauftrags (Lehrperson und Ausbilder:in) von PLP: Durch ihre Tätigkeit als Ausbilder:innen sind sie zwei Institutionen mit unterschiedlichen Handlungslogiken und Institutionsnormen verpflichtet. Auch begleiten sie eine Vielfalt an Studierenden in verschiedenen Studienphasen, wodurch sie gefordert sind, ihre Beratungsfunktion adaptiv anzupassen.
Über Interviews mit hohen narrativen Anteilen werden im Längsschnitt neue (n=8) und erfahrene (n=8) PLP u.a. zu ihren Erfahrungen mit Studierenden und ihrem Umgang mit Vorgaben der PH befragt. Mittels der dokumentarischen Methode (Bohnsack 2017) wird der Orientierungsrahmen im weiteren Sinne (O.i.w.S.) rekonstruiert und herausgearbeitet, wie der Habitus das Spannungsverhältnis zu den wahrgenommenen Institutionsnormen und die Erwartungen an die eigene Ausbilder:innenrolle moderiert. Im Zuge der Fallkomparation wird z.Zt. eine Typologie entwickelt. Erste Rekonstruktionen weisen auf die Divergenz hin, dass der doppelte Berufsauftrag LP und PLP in einer Parallelführung beider Rollen münden kann oder aber in die LP-Rolle integriert wird. Im Weiteren zeigen sich verschiedene Ausbilder:inorientierungen vor deren Hintergrund PLP z.B. als Bewährungsdruckvermeidende oder als Lehrermacher:in agieren. Im Beitrag wird die Typologie anhand kontrastierender Fallbeispiele veranschaulicht und es werden aufgekommene methodologische Herausforderungen diskutiert.
Vortrag 3: Rekontextualisierung als zentraler Modus lehrerbildenden Handelns
Der Beitrag schließt an die im ersten Beitrag der Arbeitsgruppe entfalteten grundlagentheoretischen und methodologischen Vorannahmen an. Auf Grundlage rekonstruktiver Analysen innerhalb der wissenschaftlichen Begleitstudie des im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung geförderten KALEI2-Projekts an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg werden gegenstandstheoretische und empirische Erkenntnisse zu interaktionsbezogenen Erfahrungen von Hochschullehrenden im Lehramt präsentiert. Entlang von sieben Gruppendiskussionen mit Lehrenden aus den Bildungswissenschaften und ausgewählten Fachdidaktiken, die mittels Dokumentarischer Methode ausgewertet wurden, wird eine Typenbildung zu latenten, impliziten Wissensbeständen und feldspezifischen Dimensionen der Habitus (Bourdieu 1982) vorgestellt (erste Befunde finden sich in Wittek 2023).
Die Rekonstruktionen deuten auf Spannungsverhältnisse zwischen verschiedenen wahrgenommenen Normen des beruflichen Handelns (u.a. Lehre, Forschung, Programmatik kasuistischer Seminarinteraktionen) und Teildimensionen beruflicher Habitus (u.a. Disziplinzugehörigkeit, Statusgruppe) hin (Schmidt & Wittek 2021). Die Bearbeitung dieser Spannungsverhältnisse und unterschiedlich intensive Potenziale der Enaktierung werden hinsichtlich der Professionalisierung der Hochschullehrenden aus praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive (Bohnsack 2020) diskutiert. Als zentral erweisen sich dabei empirisch unterschiedliche Weisen der Rekontextualisierung als zentraler Modus lehrerbildenden Handelns der Befragten, die exemplarisch hinsichtlich ihres Ertrags für die professionsbezogene Hochschulforschung hinterfragt werden.