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Beschreibung
Internationale Debatten über die Qualität der Lehrer:innenbildung rücken zunehmend jene Akteur:innen in den Fokus, die an der Bildung von Lehrkräften beteiligt sind: die sog. Lehrkräftebildner:innen. Nach Schratz (2015) spielen Lehrkräftebildner:innen in verschiedenen Bildungsinstitutionen (u.a. Universität, Schule) eine Schlüsselrolle, unabhängig davon, welche Funktion(en) sie wahrnehmen und welcher Institution sie zugehörig sind. In diesem Beitrag soll aufgezeigt werden, dass neben dem an der Universität lehrenden, wissenschaftlichen Personal vor allem schulische Lehrkräfte in ihrer Rolle als Mentor:innen zentrale Akteur:innen der universitären Lehrkräftebildung sind, dessen professionsbezogenes Selbstverständnis in der Forschung unterrepräsentiert ist (Schrittesser, 2020).
Die zunehmende Relevanz schulischer Mentor:innen geht mit der reformierten „Praxiswende“ (Fraefel, 2016) der deutschen Lehrer:innenbildung einher, die zu einer Ausweitung schulischer Praxisphasen und dadurch zu einer größeren Beteiligung schulischer Lehrkräfte in der universitären Ausbildung führte (Weyland & Wittmann, 2015). Gleichzeitig zeigt sich aus empirischer Perspektive wiederkehrend, dass sich bei Studierenden des Lehramts der „Mythos des Praktischen“ (Rehfeldt et al., 2018) ungebrochen manifestiert und die „praxisbezogenen Erfahrungen im künftigen Berufsfeld unabhängig von ihrer Qualität als wichtiger und besser beurteilt [werden] als die theoretischen Ausbildungsanteile“ (Hascher, 2011). Demnach erscheint es plausibel, dass sich Studierende während der Praxisphase in besonderer Weise an ihren schulischen Mentor:innen orientieren, die sie als erfahrene Praktiker:innen im Berufsfeld wahrnehmen (u.a. Hobson et al., 2009). Die entsprechende Bedeutung von Mentor:innen hinsichtlich der Herausbildung eines praktischen Habitus professionellen Könnens im Sinne einer „doppelten Professionalisierung“ (Helsper, 2021) macht sie zu einer zentralen Stellgröße innerhalb des Personals der Lehrer:innenbildung.
Allerdings zeichnet der Diskurs zum Mentoring ein ambivalentes Bild dieser Professionsrolle. Bereits auf semantischer Ebene zeigen sich begriffliche Unschärfen, die jeweils divergente Rollen innerhalb der Lehrer:innenbildung definieren. Gemeint sind Termini wie „Mentor:innen“ oder „Coach:innen“ (Reintjes et al., 2018), „Praxislehrpersonen“ oder „Lernbegleiter:innen“ (Schnebel, 2020), um nur einige der kursierenden Bezeichnungen zu benennen. Damit einher gehen jedoch jeweils disparate Erwartungen, Aufgaben und Anforderungen, die an die Gruppe schulischer Lehrkräftebildner:innen gerichtet werden. Daraus entsteht im Hinblick auf das Professionsverständnis schulischer Lehrkräftebildner:innen eine Tendenz zur Rollendiffusion, die einer näheren Betrachtung bedarf. Darüber wird deutlich, dass sich die Profession aus einer (zumeist unfreiwilligen) Zusatzaufgabe konstituiert (Gröschner & Häusler, 2014). Es ist davon auszugehen, dass Mentor:innen für die (Aus)bildung von Lehrkräften entsprechend wenig Commitment aufbringen, da sie ihre Hauptfunktion im Unterrichten von Schüler:innen sehen und weniger in der übertragenen Betreuung oder gar Bildung von angehenden Lehrkräften (Schratz, 2015).
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage welches Professions- bzw. Selbstverständnis schulische Akteur:innen innerhalb der Lehrkräftebildung haben. In unserem Vortrag wird zur Aufklärung dieser Frage eine explorative Interviewstudie mit schulischen Mentor:innen im nordrheinwestfälischen Praxissemester vorgestellt. Das Interviewmaterial wurde in einem sequenzanalytisch, rekonstruktivem Verfahren ausgewertet und strukturtheoretisch interpretiert. Ergebnisse der bisher rekonstruierten Fälle zeigen, dass das Professionsverständnis jener Lehrkräftebildner:innen, die in der schulischen Praxis tätig sind und in der skizzierten Doppelrolle agieren, zunächst ambivalent einzuschätzen ist und sich schwer auf spezifische professionsbezogene Selbstbeschreibungen vereinheitlichen lässt. Die Ambivalenzen innerhalb dieser Struktur (Helsper, 2021) und professionstheoretische Bezüge (Hermann & König, 2016) werden in unserem Beitrag vertieft, an Beispielen der Fallstudie erläutert und durch weiterführende Anregungen zur Diskussion gestellt.
Literatur
Fraefel, U. (2016). Professionalisierung im Schulfeld: Von einem diskursiven Feld innerhalb der Lehrerinnen- und Lehrerbildung zu einem eigenständigen Forschungsbereich. In J. Košinár, S. Leineweber & E. Schmid (Hrsg.), Professionalisierungsprozesse angehender Lehrpersonen in den berufspraktischen Studien (S. 7–12). Münster: Waxmann.
Gröschner, A. & Häusler, J. (2014). Inwiefern sagen berufsbezogene Erfahrungen und individuelle Einstellungen von Mentorinnen und Mentoren die Lernbegleitung von Lehramtsstudierenden im Praktikum voraus? In K.-H. Arnold, A. Gröschner & T. Hascher (Hrsg.), Schulpraktika in der Lehrerbildung. Theoretische Grundlagen, Konzeptionen, Prozesse und Effekte (S. 335–358). Münster: Waxmann.
Hascher, T. (2011). Vom „Mythos Praktikum“ … und der Gefahr verpasster Lerngelegenheiten. Journal für Lehrerinnen- und Lehrerbildung, 11(3), S. 8-16.
Helsper, W. (2021). Professionalität und Professionalisierung pädagogischen Handelns: Eine Einführung (1. Aufl.). Verlag Barbara Budrich.
Herzmann, P. & König, J. (2016). Lehrerberuf und Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
Hobson, A. J., Ashby, P., Malderez, A. & Tomlinson, P. D. (2009). Mentoring beginning teach¬ers: What we know and what we don’t. Teaching and Teacher Education, 25(1), S. 207–216.
Rehfeldt, D. et al. (2018). Mythos Praxis um jeden Preis? Die Wurzeln und Modellierung des Lehr-Lern-Labors. Die Hochschullehre. Interdisziplinäre Zeitschrift für Studium und Lehre, 4(1), S. 90-114.
Reintjes, C., Bellenberg, G. & im Brahm, G. (2018). Mentoring und Coaching als bedeutsame Lerngelegenheit zur Professionalisierung. In C. Reintjes, G. Bellenberg & G. im Brahm. Mentoring und Coaching als Beitrag zur Professionalisierung angehender Lehrpersonen (S. 7-22). Münster: Waxmann.
Schnebel, S. (2020). Coaching und Mentoring als Gegenstand der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In C. Cramer, J. König, M. Rothland & S. Blömeke (Hrsg.). Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 85-90). Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
Schratz, M. (2015). LehrerbildnerInnen. Die „unsichtbare Profession“ aus der Policy-Perspektive. Journal für LehrerInnenbildung, 15(2), S. 40-44.
Schrittesser, I. (2020). Qualifikationswege Dozierender in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In C. Cramer, J. König, M. Rothland & S. Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung (S. 843–850). Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
Weyland, U. & Wittmann, E. (2015). Langzeitpraktika in der Lehrerausbildung in Deutschland. Stand und Perspektiven. Journal für LehrerInnenbildung, 15 (1), S. 8-21.