Sprecher
Beschreibung
Aussagen zur Professionalisierung von Hochschullehrenden im Lehramtsstudium sind für die Professionsforschung bislang überraschend wenig ausgearbeitet worden (Schratz 2015, Schrittesser 2020; Bekemeier et al. 2021). Überraschend ist dieser Befund zum einen, da die Professionalisierung der bislang eher in den Blick geratenen Gruppe der Lehramtsstudierenden mit dieser in Relation und im Wechselspiel zu stehen scheint (Wittek 2023) und zum anderen, da es sich um eine vergleichsweise große Berufsgruppe von hoher gesellschaftlicher Relevanz im Kontext der Lehrer:innenbildung handelt (spezifisch für die Disziplin der Erziehungswissenschaft siehe Gerecht et al. 2020). Die berufliche Anforderungsstruktur ist komplex, die gesellschaftlichen Erwartungen sind hoch (Tremp & Weil 2015, Tremp 2015, Bekemeier et al. 2021) – umso überfälliger scheinen Beiträge, die Aussagen darüber treffen, anhand welcher Kategorien sich die Professionalität dieser „second order practioners“ (Cochran-Smith 2003) fassen lässt.
In den Beiträgen, die bisher konkret zu Hochschullehrenden (des Lehramts) entstanden sind, zeichnet sich ab, dass mit dieser beruflichen Rolle eine Nicht-Eindeutigkeit einhergeht, die von den Lehrenden unterschiedlich gerahmt und wahrgenommen werden kann. Dies zeigt sich an der Wahl der Forschungsgegenstände, die z.B. die Klärung differierender Interessensstrukturen (Mayr et al. 2015), die Identifikation beruflicher Rollen (Dengerink et al. 2015), Unterschiede in der Rollengestaltung (Weil 2020) oder Perspektiven auf Selbstdeutungen, Positionierungen und Rollenfindung (Bekemeier et al. 2021) anstreben. Ein Fokus auf die impliziten, latenten Wissensbestände – z.B. auch unter Einbezug der seminaristischen Praxis – bleiben noch offen. Im Hinblick auf eine professionalisierungstheoretische Befragung des Gegenstandes sind diesbezügliche Erkenntnisse jedoch wesentlich, weil sie Rückschlüsse auf diejenigen Orientierungen ermöglichen, die handlungsleitend werden. Der Einzelbeitrag präsentiert anschließend an dieses Desiderat Rekonstruktionen aus praxeologisch-wissenssziologischer Perspektive zu u.a. differierenden Rollenverständnissen von Hochschullehrenden des Lehramts, zudem typisierte Identitätsnormen und Wahrnehmungen von (Interaktionen mit) den Studierenden.
Empirische Grundlage des Beitrags sind Gruppendiskussionen mit Lehrenden der Bildungswissenschaften und ausgewählter Fachdidaktiken, die im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitstudie des QLB-Projekts KALEI2 (Professionalisierung durch Heterogenitätssensibilierung) erhoben und im professionstheoretischen Erkenntnisinteresse befragt wurden. Basierend auf Annahmen der praxeologischen Wissenssoziologie wurden diese mittels der Dokumentarischen Methode ausgewertet (Bohnsack 2017, 2020, 2021). Grundlagentheoretisch offenbart sich damit ein Fokus auf latente, implizite Wissensbestände und feldspezifische Dimensionen des Habitus (Bourdieu 1982) zugleich auch feldspezifische institutionelle Anforderungslogiken, denen sich die Lehrerbildner:innen ausgesetzt sehen.
Das Sample umfasst sieben Gruppendiskussionen mit jeweils 2-4 Teilnehmenden, die audiographiert und transkribiert vorliegen. Entlang von wenigen, gleichlautenden Erzählstimuli wurden die Gruppen aufgefordert, sich zu ihren Erfahrungen in der Lehre auszutauschen. Ohne dass solche Erzählimpulse explizit vorlägen, lassen sich über alle Gruppendiskussionen hinweg explizite und implizite (und durchaus kontrastreiche) Verhandlungen gruppenbezogener Rollenverständnisse und Identitätsnormen finden. In allen Gruppen zeigt sich darüber hinaus ein (ebenfalls durchaus kontrastreiches) Abarbeiten an Vorstellungen, Erwartungen und Erfahrungen, die in Bezug auf die Klientel – die Lehramtstudierenden – vorliegen. Die Vorstellungen von ‚idealen‘ Lehramtsstudierenden im Spannungsverhältnis zu den wahrgenommenen ‚realen‘ Lehramtsstudierenden erweisen sich in den Befunden als ein Schlüssel für die Rekonstruktion differierender Rollenverständnisse als Lehrerbildner:innen. Das Material deutet somit auf einen Zusammenhang der Anerkennungsformen gegenüber Studierenden (in Bezug auf die Anerkennungsformen gegenüber Schüler*innen siehe hierzu: Hericks 2007) und handlungsleitenden Orientierungen in der Lehrpraxis hin.
Ein Zusammenhang zwischen der habituell geprägten Rahmung der eigenen Rolle und Rahmung der Rolle der Klientel scheint aus praxeologisch-wissenssoziologischer Perspektive anschlussfähig. Im Einzelbeitrag sollen die aus den Rekonstruktionen hervorgegangenen Befunde vorgestellt und zur Diskussion gebracht werden.
Literatur
Bekemeier, K., Goerigk, P., Schweitzer, J., Schwier, V. & Wolf, E. (2021): Selbstdeutung, Positionierung & Rollenfindung: Zum Selbst in der universitären Lehrerinnenbildung (Themenheft).
PraxisForschungLehrerinnenBildung, 3(5).
Bohnsack, R. (2017): Praxeologische Wissenssoziologie. Stuttgart: Barbara Budrich.
Bohnsack, R. (2020). Professionalisierung in praxeologischer Perspektive: Zur Eigenlogik der Praxis in Lehramt, sozialer Arbeit und Frühpädagogik. Barbara Budrich.
Bohnsack, R. (2021): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. Opladen & Toronto: Barbara Budrich.
Bourdieu, P. (1982). Die feinen Unterschiede – Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Cochran-Smith, M. (2003): Learning and unlearning: The education of teacher educators. Teaching and Teacher Education, 19, 5-28.
Dengerink, J., Lunenberg, M. & Korthagen, F. (2015): The Professional Teacher Educator: Six Roles.
Gerecht M., Krüger H.-H., Sauerwein M. & Schultheiß J. (2020). Personal. In: (Hrsg.) H. Josef, H. Kuper & R. Martini, Datenreport Erziehungswissenschaft 2020. Erstellt im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE). Opladen; Berlin; Toronto : Verlag Barbara Budrich 2020, 115 -146.
Hericks, U.(2007): Anerkennung im Fachunterricht. In: J. Lüders (Hrsg.): Fachkulturforschung in der Schule. Opladen & Farmington Hills, 209-228.
Mayr, J., Gutzwiller-Helfenfinger, E., Krammer, G. & Nieskens, B. (2015): Lehrerbildnerinnen und Lehrerbildner: Was tun sie gern und was nicht? Eine Studie zur Interessenstruktur von Personen, die an der Lehrerinnen- und Lehrerbildung mitwirken. Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung 33 (2015) 3, S. 319-333.
Schratz, M. (2015). LehrerbildnerInnen. Die „unsichtbare Profession“ aus der Policy-Perspektive. Journal für LehrerInnenbildung, 15(2), 40-44.
Schrittesser, I. (2020). Qualifikationswege Dozierender in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In C. Cramer, J. König, M. Rothland & S. Blömeke (Hrsg.), Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Klinkhardt, 843 – 850.
Tremp, P., Weil, M. (2015): Lehrerbildnerinnen und Lehrerbildner: Ansprüche und Kontexte. Einleitung ins Themenheft. Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung 33 (3), 309-318.
Tremp, P. (2015): Von Hochschullehrern, akademischer Lehre und Lehrerbildnerinnen: Über einige Erwartungen und Zumutungen. In: A. Niggli, C. Villiger Hugo & U. Trautwein, Ansprüche und Möglichkeiten in der Lehrer(innen)bildung. Münster: Waxmann, 19 – 34.
Weil, M. (2020): Rollengestaltung in der Hochschullehre. In: S. Hummel (Hrsg.), Grundlagen der Hochschullehre. Wiesbaden: Springer, 83 – 108.
Wittek, D. (2023). Kasuistik als ‚doppelte‘ Krise der Professionalisierung – Grenzerfahrungen von Studierenden und Lehrenden des Lehramts. In J.-H. Hinzke & M. Keller-Schneider (Hrsg.), Professionalität und Professionalisierung von Lehrpersonen. Perspektiven, theoretische Rahmungen und empirische Zugänge. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 115 -135.