25.–27. Sept. 2024
Universität Trier
Europe/Berlin Zeitzone

Wissen und Erfahrung von Hochschuldozierenden – Selbstpositionierungen in Gesprächen mit Studierenden im Kontext schulpraktischer Studien

27.09.2024, 11:15
1 h 45m
B17 (B-Gebäude)

B17

B-Gebäude

Arbeitsgruppe Gesamtprogramm Arbeitsgruppen am Freitag

Sprecher

Dr. Anca Leuthold-Wergin (Universität Hildesheim) Ezgi Güvenç (Pädagogische Hochschule Zürich)Dr. Lydia Brack (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg)Prof. Melanie Fabel-Lamla (Universität Hildesheim)

Beschreibung

Vom Personal in der hochschulischen Lehrer:innenbildung wird neben disziplinär verankertem Wissen über Schule und Fachdisziplinen, meist gestützt durch eigene Forschungstätigkeiten, auch ein Wissen über Professionalisierungsprozesse von (angehenden) Lehrer:innen erwartet (Schrittesser 2020). Diese Doppelrolle von Wissensvermittlung und Begleitung von Professionalisierungsprozessen findet ihren Niederschlag im Praxiserfahrungserfordernis als Einstellungskriterium. Dozierende sollen für Studierende Lehr-Lern-Settings gestalten, die zum einen zur wissenschaftsbezogenen Auseinandersetzung mit schulischer Praxis befähigen und zum anderen pädagogische Handlungsfähigkeit anbahnen. Daher sind Dozierende in der Lehrer:innenbildung nicht nur in klassischen universitären Lehrformaten, sondern auch im Rahmen schulpraktischer Studien tätig. Dabei handelt es sich um eigenständige Studienelemente, in denen von Seiten der Hochschule Dozierende in die Berufsfeldorientierung eingebunden sind. Zum Teil kooperieren sie dabei auch mit Mentor:innen der Praxisschulen, z.B. in Unterrichtsnachbesprechungen. Diese werden konzeptionell als „dritten Raum“ (Leonhard et al. 2016) für die Professionalisierung zukünftiger Lehrpersonen bestimmt, in welchem es die beiden Referenzsysteme Wissenschaft und Berufsfeld produktiv aufeinander zu beziehen gilt. In Bezug auf die Schulpraxisbegleitung durch Dozierende stellt sich besonders die Frage, wie sie sich in Bezug auf Praxiserfahrung und Wissen positionieren. Es gibt kaum Studien, die auf der Grundlage von In-situ-Daten Dozierende in der Schulpraxisbegleitung in den Blick nehmen. Erste Befunde deuten darauf hin, dass Dozierende sich in Unterrichtsnachbesprechungen vor allem auf schulpraktisch-handlungsleitende Wissensordnungen beziehen (Brack 2019) und sich in Bezug auf akademische Wissensordnungen sogar selbst marginalisieren (Fabel-Lamla et al. 2021).
Die Arbeitsgruppe wendet sich diesen Desiderata zu, indem auf Dozierende der Lehrer:innenbildung im Kontext von Unterrichtsnachbesprechungen und Eignungsgesprächen anhand von In-situ-Daten geblickt wird. An den Unterrichtsnachbesprechungen nehmen der:die Dozierende, der:die Mentor:in, ein:e Studierende:r, der:die unterrichtet hat, sowie weitere Studierende teil. Die Eignungsgespräche finden zwischen einem Dozierenden und einem Studierenden statt. Anhand ausgewählter Fälle werden Sprechakte von Dozierenden adressierungsanalytisch (Kuhlmann 2023) rekonstruiert: Auf welches Wissen und welche Erfahrungen beziehen sich Dozierende im Kontext des Schulpraktikums? Wie resp. als wer positionieren sie sich in diesen Gesprächen?
Melanie Fabel-Lamla und Anca Leuthold-Wergin analysieren in ihrem Beitrag Normen, Wissensordnungen und Positionierungen von Dozierenden in Unterrichtsnachbesprechungen in der Studieneingangsphase. Die Daten stammen aus dem Forschungsprojekt „Gesprächspraktiken in Unterrichtsnachbesprechungen der Schulpraktischen Studien am Studienbeginn“, in welchem 14 Unterrichtsnachbesprechungen im Rahmen der Schulpraktischen Studien, die von den Bildungswissenschaften verantwortet werden, audiographiert wurden. Gefragt wird, welche Normen und Wissensordnungen Dozierende in der Gegenwart von Studierenden und Mentor:innen aufrufen und welche (Selbst-)Positionierungen die Dozierenden in diesem besonderen Lehr-Lern-Setting vornehmen.
Die Analysen zeigen, dass sich Dozierende in unterschiedlicher Weise auf Normen und Wissensordnungen beider Referenzsysteme Wissenschaft und Berufsfeld beziehen und sich sowohl dominierende als auch marginalisierende (Selbst-)Positionierungen der Dozierenden im ‚dritten Raum‘ der Unterrichtsnachbesprechungen finden.

Lydia Brack widmet sich vor dem Hintergrund des Praxiserfahrungserfordernisses schulpraktischen Erfahrungen von Dozierenden als Thema in Unterrichtsnachbesprechungen. Als gesetzlich festgeschriebenes Einstellungskriterium für hochschulisches Lehrpersonal im Kontext der Lehrer:innenbildung (Rothland & Bennewitz 2018) ist das Praxiserfahrungserfordernis seit Jahrzehnten umstritten. Während Befürwortende darin einen Ausgleich zur Verwissenschaftlichung sehen, befürchten Kritiker:innen eine Unterwanderung des Wissenschaftsbezugs in der Lehrer:innenbildung (Scheidig 2020). Dabei ist nicht geklärt, welche Wirkung dem Schulpraxiserfordernis im Aufgabenspektrum von universitärer Lehre und vor allem Schulpraxisbegleitung zugedacht werden kann und soll (ebd.). Für den empirischen Beitrag werden 14 Nachbesprechungen zum Deutschunterricht herangezogen, die im Rahmen des Semesterpraktikums erhoben wurden (Brack 2019). Der Datensatz wurde im Hinblick auf die Frage durchgesehen, wie und auf welche schulpraktischen Erfahrungen die Dozierenden rekurrieren und wie sie sich dazu positionieren. Drei ausgewählte Fälle zeigen ein Spektrum der Erfahrungsbezüge und Selbstpositionierungen: Während im ersten Fall Erfahrungen mit didaktischen Empfehlungen verbunden werden, zeigen sich im zweiten Fall Erfahrungen als Reflexionsfolien für Potentiale und Grenzen didaktischer Entscheidungen, die – wie der dritte Fall zeigt – zu kollegialen Entscheidungen relationiert werden können.
Ezgi Güvenç betrachtet in ihrem Beitrag Subjektivierungsprozesse von Dozierenden in Eignungsgesprächen der berufspraktischen Ausbildung. Diese Eignungsgespräche sind als verpflichtender Bestandteil mit konzeptionellen Absichten verbunden, die auf die individuelle Begleitung und Unterstützung von Professionalisierungsprozessen abzielen (vgl. Herzog et al. 2017, S.13). Im Zentrum der Rekonstruktion stehen zwei exemplarisch ausgewählte Eignungsgespräche, an der untersuchten Hochschule, die im Rahmen des Forschungsprojekts „Trajektorien in den Lehrberuf“ ethnographisch und audiographisch erhoben wurden. Es wird gefragt, wie sich die Dozierende mit institutionellen Anforderungen im Format der Eignungsgespräche auseinandersetzen, welche Wissensordnungen sie aufrufen und wie sie sich darin selbst positionieren. Die Analyse zeigt unterschiedliche Zugänge: Eine Dozentin positioniert sich als Beobachterin, die die Anpassungsleistung an die institutionellen Vorgaben beurteilt, während sich die andere als Kooperationspartnerin bei der Eignungsabklärung zeigt.
Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe werden abschließend vor dem Hintergrund differenter Anforderungen an das Wissen der Dozierenden und der Kontroverse zum Schulpraxiserfordernis in Bezug auf die Professionalisierung angehender Lehrer:innen diskutiert.
Literatur
Brack, Lydia (2019): Professionalisierung im Gespräch. Subjektivierungen in Nachbesprechungen zum Grundschulunterricht im Rahmen des Semesterpraktikums. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Kuhlmann, Nele (2023): Adressierungsanalyse als Zugang zur Subjektivierungsforschung. Methodologisch-methodische Weiterentwicklungen und Werkstattbericht. In: Ricken, N. et al.: Die Sprachlichkeit der Anerkennung. Subjektivierungstheoretische Perspektiven auf eine Form des Pädagogischen. Weinheim: Juventa, S. 68-111.
Fabel-Lamla, Melanie, Kowalski, Marlene, Leuthold-Wergin, Anca (2021): Schulpraktische Studien im Kontext der Forderung nach Kohärenz. Empirische Analysen zum Adressierungsgeschehen in Unterrichtsnachbesprechungen. In: Reintjes, C. et al. (Hrsg.): Schulpraktische Studien und Professionalisierung: Kohärenzambitionen und alternative Zugänge zum Lehrberuf. Münster: Waxmann, S. 69-84.
Herzog, Simone, Peyer, Ruth & Leonhard, Tobias (2017): Im Modus individueller Unterstützung: Zur Begleitung von Professionalisierungsprozessen im Mentorat. In: Fraefel, U. & Seel, A. (Hrsg.): Konzeptionelle Perspektiven Schulpraktischer Studien: Partnerschaftsmodelle – Praktikumskonzepte – Begleitformate. Münster: Waxmann, S. 163-175.
Leonhard, Tobias, Fraefel, Urban, Jünger, Sebastian, Košinar, Julia, Reintjes, Christian & Richiger, Beat (2016): Zwischen Wissenschafts- und Berufspraxis. Berufspraktische Studien als dritter Raum der Professionalisierung von Lehrpersonen. In: Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 11(1), S. 79–98. Doi.org/10.3217/zfh e-11-01/05
Rothland, Martin & Bennewitz, Hedda (2018): Praktiker zu Theoretikern!? Das Schulpraxiserfordernis oder warum Ewald Terhart kein Schulpädagoge sein dürfte. In: Rothland, M. & Lüders, M. (Hrsg.): Lehrer-Bildungs-Forschung. Münster: Waxmann, S. 25-41.
Scheidig, Falk (2020): Schulpraktische Erfahrung von Dozierenden als Basis praxisbezogener Lehrerinnen- und Lehrerbildung? Positionen und Anfragen zum Schulpraxiserfordernis. In: Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung. 38 (3), S. 343-358.
Schrittesser, Ilse (2020). Qualifikationswege Dozierender in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. In: Cramer, C. et al. (Hrsg.): Handbuch Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 843-850. Doi.org/10.35468/hblb2020-104

Hauptautoren

Dr. Anca Leuthold-Wergin (Universität Hildesheim) Dr. Lydia Brack (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg)

Co-Autoren

Ezgi Güvenç (Pädagogische Hochschule Zürich) Prof. Melanie Fabel-Lamla (Universität Hildesheim)

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